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Laudatio von Amnesty Bundesvorstand Jessica Böhner zur Verleihung des gelben Trikots für Menschenrechte an Jacques Tilly

Liebe Gäste,

lieber AMNESTY Bezirk Düsseldorf

und vor allem

lieber Ehrengastgeber, liebes Geburtstagskind, lieber Jacques Tilly,

ja, es stimmt, ich bin eine bekennende Karnevalsnärrin und obwohl ich heute in Köln lebe – ein Fan meiner Heimatstadt Düsseldorf. Und das, lieber Jacques, hat unter anderem auch mit Deinem Werk zu tun.

Aber wer ist denn dieser Jacques Tilly, und warum wird er heute geehrt?

1963 in Düsseldorf geboren, wuchs er in (Düsseldorf-) Oberkassel in einem Künstlerhaushalt auf. Gefördert wurde sein kreatives Talent vor allem durch Ermunterungen seiner Mutter, die Malerin war. Seinem Vater gefiel eine seiner ersten Kopffüßler-Zeichnungen so gut, dass diese das Logo seiner Firma wurde. Somit hat weniger die räumliche Nähe zur Düsseldorfer Kunstakademie seine Kreativität beflügelt als vielmehr die Tatsache, dass Mal- und Zeichenutensilien stets zur Hand waren.

Mit seinen Brüdern bildete er eine eingeschworene Gang, die sich die „Ärgermeister” nannten und sich bemühten - zum Unbill des gutbürgerlichen Oberkassel - ihrem Namen alle Ehre zu machen. Den Umgang mit Hölzern lernte Jacques Tilly schon sehr früh, indem er mit seinen Brüdern Dachlatten-Schwertkämpfe führte. Später wurde dann der Abenteuerspielplatz aufgesucht, wo man bis heute u.a. Holzhütten bauen und niederreißen darf. In seinen frühen Teenie-Jahren fällt auch die Konstruktion und Verschiebung der neuen sowie der Abriss der alten Oberkassler-Brücke. Dieses internationale Spektakel, das quasi vor seiner Haustür passierte, mag das schelmische Blitzen in seinen Augen erklären, wenn er veilchendienstags den Abrisshammer schwingt.

Was Jacques' schulische Laufbahn angeht, so hatte er das Glück am Comenius-Gymnasium auf mehr interessierte statt auf restriktive Lehrkräfte zu stoßen.

— Hier muss ich mal kurz abschweifen: - Also, als gute Närrin, habe ich natürlich gewusst, dass Jacques Tilly die Wagen für den Rosenmontagszug baut, aber ich habe vorher nicht gewusst, dass wir uns biographisch nicht nur Oberkassel teilen, sondern auch die Schule und sogar einige Lehrer! - Einen habe ich mir erlaubt, zu Deiner heutigen Ehrung einzuladen, Deinen / unseren Deutsch-Müller - Herrn Bernd Müller. —

Lieber Jacques, Lieber Bernd, ich habe Fragen, wie Ihr Euch denken könnt.

Aber zurück zur Schule, an der Du 1982 Dein Abitur gemacht hast. Du hast das Comenius-Gymnasium aber nicht einfach so verlassen, sondern Dich auf dem gelben Grund (Fettecken-Gleich) für uns nachfolgende Schülerschar verewigt. Übrigens, wir haben den Hausmeister mit Weinbrand becirct bzw. hatten andere Tricks und mussten nicht das väterliche Werkzeug einsetzen.

Wenn man in Düsseldorf aufwächst, stehen die Chancen gut, dass man etwas mit Mode, Medien, Werbung, Bankwesen, Kunst oder Verwaltung macht. Freigeist, der Du bist, wurde einfach kombiniert und Kommunikationsdesign an der Universität Essen studiert. Mit Deinem Professor Coordt von Mannstein hast Du heute noch Kontakt. Aber bevor das Studium überhaupt losgeht, rollt bereits Dein erster Karnevalswagen — und wie man so schön sagt: „Der Rest ist Geschichte!”. Denn Jacques Tilly bleibt dem Düsseldorfer Karneval nicht nur während seiner Studienzeit, sondern fortan treu! Also, seit inzwischen 3 x 11 Jahren!

3 x 11 Jahre x ca. 80 Karnevalswagen - das maaaaaaaaacht? Das macht? Kommen Sie drauf? (2.640 Wagen) Nun, auf jeden Fall so viel, dass das selbst so ein Ausnahmetalent, wie Jacques Tilly es ist, nicht alleine schaffen kann!

Zum Einen braucht es eine Familie, die das unterstützt und trägt. Anwesend sind heute seine Frau Ricarda Hinz sowie sein Vater Thomas Tilly. Die Söhne Camillo und Valentin komplettieren die Familie Tilly.

Zum anderen braucht es Mitwirkende, die die Großplastiken mit viel Liebe und Geschick umsetzen. Das Team Tilly besteht, wie Sie später noch sehen werden, aus vielen Personen, die mit viel Fleiß und Freude die Entwürfe umsetzen. Sie alle stehen Jacques in Kreativität nicht nach!

Aber die Närrinnen und Narren am Straßenrand würden (keinen Rosenmontagszug und vor allem) keine politischen Mottowagen zu sehen bekommen, wenn das Comitee Düsseldorfer Carneval e.V. (CC) diese Wagen nicht auch bestellen und aufstellen würden. Wie Du mir verraten hast, stellst Du die Entwürfe vor, die dann vom Präsidenten des CC, Michael Laumen, dem Geschäftsführer des CC, Hans-Jürgen Tüllmann, und dem Düsseldorfer Rosenmontags­zugleiter, Hermann Schmitz, bekrittelt und verworfen oder abgenommen werden. Haben Sie gewusst, dass diese „Chefs” nicht nur die politischen Motive absegnen, sondern oft auch bissigere Versionen fordern? „Chapeau” - meine Herren!

Lieber Jacques, Du sagst selbst, dass Du Deinen Traumberuf ausübst und Du Dich glücklich weißt, wunderbare Kollaborateure zu haben. Du selbst sagtest :

„Der Karneval, die Narren- (bzw.) Meinungsfreiheit hat die Aufgabe, all die Dinge aufzugreifen, die politisch in der Luft liegen, und satirisch zu verwursten.”

Und das tust Du — das tut Ihr — gemeinsam. Jahr für Jahr fahrt Ihr mit Euren politisch-satirischen (3D) Großplastiken den Weg bis zur Grenze der Meinungs- und Kunstfreiheit, und manches Mal wagt Ihr auch den Balanceakt auf dieser Grenze. Einige sagen sogar: darüberhinaus. Das ist auch der Grund, weshalb seit dem Jahr 2000 die politischen Umzugswagen streng geheim sind. "Kabarettisten verteilen vor einem Auftritt auch keine Flugblätter mit ihren Scherzen, damit sich das Publikum drauf vorbereiten kann.”, erklärst Du auf Fragen nach der Geheimhaltung.

Lassen Sie mich ganz kurz einige Wagen Revue passieren:

Der nackte Kohl, der Kruzifixwagen, Putins Pressefreiheit, Saddam & Bush im Bett, Free Pussy Riot, Rütgers als Skinhead, Weltjugendtag, die ermordete Meinungsfreiheit (2007), … Charlie Hebdo. — Charlie Hebdo!

Der Ruf nach Zensur und vor allem die Bedrohung, der Karikaturisten, Kabarettisten, Satiriker und inzwischen auch Karnevalwagenbauer ausgesetzt sind, war bis vor einigen Jahren nicht so bekannt, dies hat sich auf tragische Weise geändert. Wer durch einen bunten Karnevalswagen in der persönlichen Wohlfühlzone, der eigenen Meinungsblase aus dem Takt gebracht wird und dann mit Gewalt und/oder Tod droht, reagiert völlig hysterisch und macht sich zu Recht strafbar. — Wir alle lieben Menschenrechte und Meinungsfreiheit — solange es um unsere eigenen Rechte und Freiheiten geht. Es sind die Rechte und Freiheiten der Anderen, die uns testen!

Die Meinungsfreiheit wurde nicht erstritten, um uns einzulullen und gleichzuschalten, sondern um uns (wahrhaftig) frei zu machen! Es bedarf Mut Freiheit zu leben und auszuhalten.

Der karnevalistische Hoppeditz, der Narr, ist ein Kindskopf, der die (politische) Wahrheit sprechen darf. Gleich dem Kind, das laut ausspricht, was alle denken: „Der Kaiser hat keine Kleider an!”.

Satire ist nicht fair, sie lebt von Überspitzung, aber die Satirikerin, der Satiriker sollte fair sein. Die Tatsache, dass Du, Jacques, gleichsam alle — Politiker, Institutionen, Religionen, etc. auf den Karnevalswagen stellst, garantiert Deine Neutralität. Nichts desto trotz gilt für Dich: „Götter und Propheten lassen wir in Düsseldorf in Ruhe, alle „Bodenmitarbeiter", wie beispielsweise Kardinal Meisner damals, sind in Ordnung.” Resultat dieser Narrenfreiheit ist, dass der Düsseldorfer Rosenmontagszug als der politischste gilt und inzwischen weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt, ja berüchtigt ist.* Auf allen Kontinenten wird über Tillys Werke berichtet: Von Uruguay, über den Jemen und Dubai bis hin nach Indonesien. Sogar einen Kinofilm gibt es, und die Handwerks­kammer Düsseldorf hat eine Ausstellung prominent in der Innenstadt ermöglicht. Faszinierend finde ich, dass die Wikipedia-Seite zu Jacques Tilly bis jetzt neben Deutsch nur in einer anderen Sprache besteht. Was meinen Sie welche das ist? — Polnisch! Wer den Rosenmontagszug 2016 gesehen hat, ahnt wieso (Jarosław Kaczyński). Die Wirkung des Wagens ist so groß, dass die Bundesregierung sich zu Meinungs- und Kunstfreiheit äußerte und sich somit vor den Karnevalswagen und seinen Schöpfer stellt. Und Jacques muss sich fragen, ob er nun Establishment ist.

Welche Schublade auch immer! Menschenrechtsaktivisten sind stets gute Gesellschaft!

Auf unserem Amnesty-Mobil, einem großen, gelben Doppeldeckerbus, steht „DU KANNST GROSSES BEWEGEN”, und genau dies erreichst Du, Jacques, erreichen Sie, meine Damen und Herren des Wagenbauteams, sowie Sie, die Veranstalter des Düsseldorfer Karnevals, stets aufs Neue. Sie erkennen an dieser verschworenen Narrenschar und auch an den Ehrenamtlichen von AMNESTY INTERNATIONAL, dass man unabhängig von Alter, Glaube, Herkunft, Bildung und Geschlecht große Veränderungen bewirken kann.

Bevor wir nun zur Überreichung des „Gelben Trikots der Menschenrechte” an Jacques Tilly kommen, muss ich kurz die Chance ergreifen, Ihnen, liebe Anwesenden, Folgendes zu sagen:

Wir haben hier so viel über Freiheit und Mut gesprochen:

Gehen Sie nicht, ohne sich selber für die Freiheit einzusetzen, indem Sie zum Beispiel eine der Eilaktionen unterzeichnen.

Jacques,

es ist Dein couragierter Einsatz für das Recht auf freie Meinungsäußerung, Dein Streiten darum, dass kritische gesellschaftliche und politische Entwicklungen offen und klar aufgezeigt werden, und Dein Engagement und Deine farbenfrohen Ideen, die für politischen Gesprächsstoff (weltweit) sorgen. Aber Du sprichst nicht nur durch Deine Kunst, sondern tust dies auch direkt, indem Du gegen Rassismus und Rechtsextremismus Stellung beziehst und bei vielen Protestveranstaltungen aktiv bist.

Jacques Tilly lebt Meinungsfreiheit und steht auch dafür ein, wenn es mal unbequem werden kann, oder wenn Themen abseits der Aufmerksamkeit stattfinden. Er legt den Finger in die Wunde und trägt entscheidend zum politischen Diskurs unserer Gesellschaft in Düsseldorf und der Region – und zu Karnevalszeiten weit darüber hinaus – bei. Das „Gelbe Trikot der Menschenrechte” des Düsseldorfer Bezirks von AMNESTY INTERNATIONAL geht deshalb an Jacques Tilly für seinen Einsatz für die Meinungsfreiheit!

(Übergabe: Trikot)

Das „Gelbe Trikot” soll ab sofort – zumindest in Düsseldorf – mit den Menschenrechten in Verbindung gebracht werden!

(Übergabe: - Eine Kiste Wein)

Damit Du und Dein Team „auf diesem Abenteuerspielplatz für Erwachsene” auch gebührend feiert, überreichen wir aus historischem Anlass „roten Traubensaft”, den es wahlweise mit lautem „Helau!” oder einem feurigen „Auf die Freiheit!” zu trinken gilt.

Anschließend Dankesrede von Jacques Tilly

* Kommunale Themen und Themen der Welt in satirische Bilder/Plastiken zu fassen, ist besonders in der heutigen Zeit relevant, da Bilder schnell und leicht durch die Medien, insbesondere die Sozialen Netze, verbreitet werden.

Jacques, Du bist ein Meister darin, eine Plastik so zu entwerfen, dass sie oft ohne Kontext wirkt; in Sekunden (auch international) verstanden wird; jedoch so konzipiert ist, dass es den sich ändernden Blickwinkeln der Narren am Straßenrand Rechnung trägt oder gar damit spielt, indem es sich erst nach und nach zeigt oder wandelt.