KarnevalswagenBildband "Jacques Tillys Narrenfreiheit"Bildband Narrenfreiheit

Der Pappkamerad

Rheinische Post, 4.1.2007, von Jörn Tüffers

Seit mehr als 20 Jahren baut Jacques Tilly die Mottowagen für den Rosenmontagszug. An der Radikalität des 43-Jährigen scheiden sich die Geister. Ausgerechnet ein Ruhrgebiets-Verlag veröffentlicht nun ein Buch mit Entwürfen seit 1994, auch jenen, die in der Schublade verschwunden sind.

Vor Jacques Tillys Spott ist niemand sicher. Er schlug Narren ans Kreuz, zeigte Gerhard Schröder als Pleitekanzler nackt bis ins kleinste Detail und ließ Angela Merkel aus dem Allerwertesten von George W. Bush krabbeln. Die gekreuzigten Narren als satirische Kommentierung des Kruzifix-Streits in Bayern fuhren 1996 beim Rosenmontagszug mit - nach massiven Protesten der katholischen Kirche allerdings in Christo-Manier verhüllt. Zurückgezogen wurde dagegen drei Jahre später jener Entwurf, der die unterlegene Oberbürgermeister-Kandidatin Marlies Smeets mit einem Messer im Bauch und dem Wort "Stichwahl" zeigte. Die SPD-Frau empfand die Darstellung aus Tillys spitzer Feder als geschmacklos. Der Wagenbauer verbuchte diese Wertung als Ehrenprädikat.

Mottowagen sind wie Nudeln: "Sie müssen bissfest sein. Nichts ist schlimmer als verkochte Pasta"

Seit 22 Jahren baut der 43-Jährige Mottowagen für den Düsseldorfer Rosenmontagszug; jetzt erscheint erstmalig ein Buch über den Architekten des Frohsinns. Im Klartext Verlag in Essen erscheint der Band "Jacques Tillys Narrenfreiheit. Provokation und Phantasie im Düsseldorfer Rosenmontagszug". Das Buch zeigt eine Auswahl von realisierten und nicht realisierten Entwürfen verschiedener Wagen, die die große und kleine Politik von 1994 bis 2006 spiegeln. Heute stellen es Autor Udo Achten und Tilly vor - nicht in Essen, sondern im Herzen Düsseldorfs, in der Altstadt.

Während Tillys Entwürfe beim Rosenmontagszug selbsterklärend sind, kann das Buch nicht auf einordnende Erklärungen verzichten und liefert damit einen verblüffenden Beitrag zur Zeitgeschichte. Wie war das beispielsweise 1998 mit dem Parteienstreit über das Asylrecht? Ein Wagen zeigt einen Asylbewerber mit einem Strick um den Hals, an dem Politiker von CDU, SPD und FDP gemeinsam ziehen. "Mer trecke alle an eenem Strang" war in diesem Jahr bezeichnenderweise auch das Motto des Zugs.

Auch das zeigt das Buch: In Jürgen Rieck hat Tilly einen närrischen Bruder im Geiste gefunden. Der knorrige Geschäftsführer des Comitees Düsseldorfer Carneval half oft, Bedenken und Widerstände aus den Gesellschaften zu überwinden. Die Karnevalisten könnten sich vor den Themen Krieg und religiösem Fanatismus nicht verstecken, meint Rieck: "Die Alternative wären harmlose und 'ausgewogene' Wagen. Die täten zwar keinem weh, sorgten aber eher für Langeweile als für Begeisterung", schreibt er in seinem Vorwort. "Es ist doch nur Karneval, am Aschermittwoch ist alles vorbei." Womit der CC-Geschäftsführer irrt. Und das weiß er. 2005 ebbte die Empörung über den Wagen, der Kardinal Meisners Ablehnung des Schwangerschaftsabbruchs als Hexenverbrennung darstellte, erst nach Wochen ab. Vertreter der katholischen Kirche warfen Tilly Verunglimpfung vor. Mit Rieck versuchte er, bei einem Gespräch die Wogen zu glätten. Die Standpunkte blieben jedoch fest, das Trennende unüberwindbar. Tilly bezeichnet sich als weltanschaulich neutral und hält es mit seinen Mottowagen wie mit Nudeln: "Sie müssen bissfest sein. Nichts ist schlimmer als verkochte Pasta." Allen Karnevalsbegeisterten, die auf Tillys jeck-bitterböse Kunstwerke nicht bis zum Rosenmontag warten wollen, verkürzt Udo Achtens Buch die Wartezeit.

Das Buch Jacques Tillys Narrenfreiheit", 186 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Klartext Verlag 15,95 Euro, ISBN 3-89861-728-9

Tillys Weg

Geboren 27. Juni 1963

Studium Kommunikationsdesign an der Universität Essen

Karneval Seit 1984 Mitarbeit als Wagenbaukünstler am Rosenmontagszug

Fulltime Seit 1999 ganzjährig Arbeit an Karnevalswagen und Großplastiken für Messen und Events

Bildunterschriften:

Links: Architekt des Frohsinns: Jacques Tilly entwickelt in seiner Werkstatt die Motive für die Mottowagen. Die politischen Wagen sind seit 2000 das best gehütete Geheimnis der Stadt. Sie werden erst Rosenmontag gezeigt. RP-Foto: Andreas Bretz

Oben: 2006 nahm Tilly die iranische Atompolitik aufs Korn (links). 1996 endete der Zug mit dem Wagen der verhüllten Kruzifixe. Fotos: Tilly/Klartext

Mitte: Beißende Politiksatire: 2003 bekam Angeta Merkel wegen des CDU-Kurses zu den USA ihr Fett weg. 2004 zeigte ein Motivwagen Gerhard Schröder und wie pleite Deutschland ist.

Unten: Das Gezänk zwischen Erwin und Hock ist ein Dauerbrenner: 2005 karikierte Tilly, dass der OB die Schlösser der Bürgermeisterin im Rathaus austauschen ließ und sie vor verschlossenen Bürotüren stand.