KarnevalswagenBildband "Jacques Tillys Narrenfreiheit"Bildband Narrenfreiheit

Jacques Tillys Narrenfreiheit

Tusch, Januar 2007

Wenn ich geahnt hätte, daß ein Verlag meine karnevalistischen Umtriebe in Sachen Wagenbau eines Tages als edel gebundenes Buch herausbringen würde, dann hätte ich mein "Archiv" von Anfang an gut sortiert. So aber wühlte ich leicht gestreßt in alten Schuhkartons nach passenden Fotos, durchstöberte muffige, im Keller gelagerte Aktenordner und fragte bei Freunden nach, ob nicht vielleicht noch das ein oder andere Erinnerungsbild von meinen alten Wagen existent sei. Sogar bei der Lokalpresse klopfte ich höflich an. Schlußendlich wurde ich dann doch ausreichend fündig, und auch manch schon längst vergessener Schatz kam im Verlauf der Suche zutage.

Alles Bildmaterial ist beim Verlag abgegeben und im Moment wird an dem Bildband mit dem ehrenvollen Titel "Jacques Tillys Narrenfreiheit" gearbeitet. Herausgeber ist Udo Achten, der für das Grundkonzept, das Design und die Texte verantwortlich zeichnet. Erscheinungsdatum: Anfang Januar 2007, noch rechtzeitig in der laufenden Session. Das Buch konzentriert sich ausschließlich auf die politischen Wagen des Düsseldorfer Zochs aus den letzten 10 Jahren, auf die sogenannten Mottowagen - eine Bezeichnung, die ich ungern verwende, weil nur die wenigsten der politischen Wagen das aktuelle Sessionsmotto aufgreifen. Nicht nur die Wagen, die gefahren sind, sondern auch viele der verworfenen Entwürfe haben Eingang in das Buch gefunden. Das Werk bietet einen Einblick in die letzten zehn Jahre bundesrepublikanischer Geschichte und Weltgeschichte aus der Sicht des närrischen Spötters. Ein gegen den Strich gebürstetes Geschichtsbuch sozusagen, ein kleines, feines Zeitdokument für Menschen mit einem Hang zu satirischen Gemeinheiten.

Dabei sind die politischen Wagen nur das Sahnehäubchen des Wagenbaus. Da unser inzwischen zu üppiger Größe gewachsenes Wagenbauteam jährlich an mehreren Dutzend Karnevalswagen baut und somit schon ab Sommer in Aktion treten muß, sind die politischen Wagen nur ein kleiner Teil des jährlichen Pensums. Die meiste Zeit der Wagenbausession verbringen wir mit dem Bau von Gesellschaftswagen. Nebenbei entstehen jede Menge Bühnendekorationen und weiterhin auch Großplastiken für Events, Messen und Film. Allein die Arbeit am Düsseldorfer Prinzenwagen schluckt genauso viel Zeit wie die gesamte Arbeit an den politischen Wagen. Doch nach all dem endlosen Wändebauen für die Gesellschafts- und Werbewagen freuen sich alle darauf, in den letzten zwei/drei Wochen vor Rosenmontag endlich mit den vollplastischen politischen Wagen zu beginnen und mit all den Nieten aus Berlin, Washington, Iran und sonstwo liebevoll abzurechnen. Da wir unseren Düsseldorfer Rosenmontagszug so aktuell wie möglich halten wollen, fangen wir sehr spät mit den politischen Wagen an und arbeiten unter höchstem Zeitdruck an den Visagen von Merkel & Co. Und gerade Portraits sind tückisch, manchmal geradezu heimtückisch, da es vorkommt, daß sie einfach nicht recht gelingen wollen. Und viele Nächte wurden schon durchgearbeitet, bis die Ähnlichkeit saß. Denn gerade an den gelungenen (oder auch mißlungenen) Portraits erkennt man, was ein Wagenbaukünstler draufhat und was ihm fehlt.

Die politischen Situation ändert und verschiebt sich fast täglich, und wer zu früh baut, den bestraft das Leben, diese Lektion habe ich gelernt. In den ersten Jahren meiner Bautätigkeit habe ich schon im Oktober die ersten politischen Entwürfe gezeichnet, doch dann zu Rosenmontag war kaum einer davon noch stimmig oder aktuell. Da ich wie jeder Mensch ungern für den Papierkorb arbeite, hat sich das Abgabedatum für die politischen Wagen immer näher an Rosenmontag herangeschoben.

Und natürlich müssen die Entwürfe vor dem Bauen genehmigt werden. Denn nicht die Wagenbaukünstler, sondern das Comitee Düsseldorfer Carneval (CC) trägt die Verantwortung (und die Kosten) für die Wagen, und hat deshalb das Recht, sich aus dem Stapel der eingereichter Entwürfe die besten und passendsten Ideen herauszusuchen. Nur die wenigsten der vielen, vielen Ideen erblicken dann tatsächlich auf einem Wagen das Licht der Welt. Und es ist wirklich nicht leicht, jedes Jahr aufs neue originelle und inhaltlich anspruchsvolle Bilder zu liefern. Denn da gibt es ein paar wesentliche Einschränkungen: Erstens können nur solche Themen bei den politischen Wagen eine Rolle spielen, die auch von wenig informierten Zuschauern begriffenen werden können, die also "in der Luft" liegen und allgemein verständlich sind. Der Karneval ist nun einmal ein Volksfest und wirklich für alle da. Und zweitens muß die Wagenidee so einfach und reduziert wie möglich sein, da die Wagen ja recht schnell vorbeifahren und direkt erfaßt werden müssen. Weniger ist mehr, das gilt hier in ganz besonderem Maße. Ein politischer Wagen darf kein Bildroman sein. Was für die Idee nicht nötig ist, muß gnadenlos weglassen werden.

Ein drittes und entscheidendes der einschränkenden Kriterien: Unser Comitee will keine langweiligen Wagenideen. Oft genug wurden die Entwürfe schon abgelehnt unter der Begründung, der Düsseldorfer Rosenmontagszug sei doch kein Kindergeburtstag. Die Wagen müssen Knaller sein, wir können uns bei der geringen Anzahl von nur 8 bis 10 politischen Wagen pro Zug keinen Blindgänger leisten. Vor vielen Jahren platzte es aus einem Comiteemitglied nach den ersten Sichtung der Entwürfe erregt heraus: "Mit diesen Entwürfen kann man vielleicht ein Altersheim tapezieren, aber doch keinen scharfen Zug bestreiten". Natürlich war ich leicht gekränkt, denn ich gab mir doch schon alle Mühe, so gemein wie möglich zu sein. Doch beim Nachsitzen gelang es tatsächlich, einen der frechsten Wagen meiner "Laufbahn" zu kreieren: Die Angela Merkel im Hintern von Uncle Sam kurz vor Ausbruch des dritten Golfkrieges 2003 - ein Motiv, das auch den Buchtitel schmückt. Und ich dankte von Herzen für solche Comiteemitglieder, die wirklich bissigen politischen Humor, der bis an die Schmerzgrenze geht, nicht verhindern (das ist ja der Normalfall), sondern nach Kräften fördern. Ein seltener Glücksfall, daß in Düsseldorf die wahren Narren am Ruder sind und nicht die üblichen Humorverhinderungsfunktionäre, wegen denen der Karneval bei vielen Nichtkarnevalisten so gefürchtet ist. Und ich wünsche mir sehnlichst, daß solche idealen Bedingungen noch ewig andauern werden. Der CC-Geschäftsführer Jürgen Rieck und der Rosenmontagszugleiter Hermann Schmitz mögen mit Unsterblichkeit gesegnet werden. Die Folge dieses Strebens nach möglichst scharfen Wagenideen ist natürlich, daß dann Wagen über die Straßen fahren, die polarisieren und sogar mitunter spontanen Applaus des Publikums, aber auch scharfe Proteste hervorrufen. "Geschmacklos" ist dann eine der harmloseren Vokabeln, mit denen wir Wagenbaukünstler und unsere Arbeit bedacht werden. Großer Schwerpunkt des Buches sind nicht ohne Grund genau diejenigen Wagen, die wirklich umstritten waren und es sogar zum handfesten Skandal gebracht haben. Aber nichts tat dem Düsseldorfer Zug unterm Strich besser als die Häufung dieser Art von Wagen im Verlauf des letzten Jahrzehnts. Unser Zoch gilt bundesweit als frechster und aufregendster Zoch der Republik. Und als weiterer Beleg dafür, dass durch diese Art von Wagen der Düsseldorfer Karneval verstärkt in den Fokus des öffentlichen Interesses gelangt ist, kann sowohl die Tatsache gelten, daß inzwischen auch die einschlägigen TV-Politikmagazine in der Düsseldorfer Wagenbauhalle ein- und ausgehen, als auch die Herausgabe dieses Bildbandes über die politischen Wagen. Mit harmlosen Durchschnittswagen, die keinem weh tun, und lediglich konsenssüchtige Hasenfüße aller Art erfreuen, hätte man das nicht erreicht. "Ausgewogene" und "geschmackvolle" Wagen dieser Art sind längst vergessen, direkt nach ihrem Vorbeifahren. An die scharfen und gewagten Wagen hingegen erinnert sich noch jeder auch noch nach vielen Jahren, um sie herum ranken sich Legenden und Geschichten, und wie guter Wein werden sie noch besser, je länger sie zurückliegen. Und mit dieser Art von Wagen bleibt der Karneval das, was er sein sollte und wofür er gedacht ist: eine Ausnahmezeit, in der der Narr einmal Jahr ungestraft das sagt, was man sonst nicht sagen darf.

Wer Interesse an dem Buch hat, kann es ab Anfang Januar in jeder Buchhandlung oder aber direkt beim Verlag bestellen:

Klartext Verlagsgesellschaft mbH
Heßlerstraße 37
45329 Essen

www.klartext-verlag.de