Pressespiegel1989 bis 2003RP, 7.8.2002, Hamburg tanzt

Trockeneis für den Greif

Rheinische Post, 7.8.2002, von Verena Schürholz

Um der barbusigen Dame ins Gesicht schauen zu können, muss Jacques Tilly schon auf die Leiter klettern. Oben angekommen greift er zur Farbpistole und gibt ihren Augen den letzten Schliff. Dann ist sie perfekt.

Die Oben-ohne-Vogelfrau mit dem roten Schal ist eine von fünf Skulpturen, die der Düsseldorfer Bildhauer Jacques Tilly für die Hamburger Großraum-Disko "Mic Mac" gebaut hat. "Im Sommer habe ich Zeit für solche Großprojekte", sagt der Künstler, dessen Hauptsaison in die fünfte Jahreszeit fällt: Bekannt ist er für seine Karnevalswagen im Rosenmontagszug. Als dann aber der Auftrag für die Disko-Deko in die Wagenbauhalle an der Merowingerstraße flatterte, war er Feuer und Flamme.

Das spiegelt sich auch in seinen Drei-Meter-Figuren wider. Der bunte Greif mit den überdimensionalen Flügeln hat eine besonders feurige Eigenschaft: Aus seinem Schnabel strömt nebliger Rauch. "Den Effekt erzielen wir mit Trockeneis", sagt Tillys Mitarbeiterin, Bildhauerin Doris George. Sie kennt sich mit solchen Tricks bestens aus, weil sie mehrere Jahre für das Phantasialand in Brühl gearbeitet hat. Der Greif wird Anfang September - dann wird die Disko eröffnet - seinen Platz neben der Kasse einnehmen.

Rund 150 Kilo wiegt jede einzelne Figur. "Wir haben mit einer neuen Technik gearbeitet", sagt Tilly. "Für den Karneval baue ich ja normalerweise Ex-und Hopp Figuren aus Papier. Weil die Deko in der Disco aber länger halten muss und wahrscheinlich auch vor glühenden Zigarettenkippen und verschüttetem Bier nicht verschont bleibt, hat Tilly sich etwas Neues überlegt. "In den Körpern sind Stahlgerüste, darüber kommt eine Feuer feste Mischung aus Hartgips und Glasfaser", erklärt Tilly, der mit seinem Team insgesamt sechs Wochen an den Figuren gearbeitet hat.

Am Anfang steht die Idee. "Ich hatte völlig freie Hand. Der Disko-Betreiber wollte lediglich etwas Heiteres", sagt Tilly. Und damit hat der Karnevalsprofi schließlich genug Erfahrung. Rund 30 Skizzen, die jetzt einen dicken Ordner füllen, hat Tilly angefertigt, zwei Mal hat er sich die Räume vor Ort angeschaut, und dann ging die handwerkliche Arbeit los. Einen Monat hat das Bauen und Bemalen gedauert, am Ende waren 18-Stunden-Tage die Regel.

Entstanden sind drei grimmig-ulkige Köpfe, eine mit Phosphor-Farben bemalte Schlangenfrau und eben Greif und Vogelfrau. "Das Ganze sollte leicht mystisch werden", sagt Tilly. So wird beispielsweise die Schlangenfrau im Schwarzlicht leuchten - ihre Umrisse werden dann nicht zu erkennen sein. Inzwischen sind die Figuren per Lkw in Hamburg gelandet. Und weil den Nordlichtern die Skulpturen aus Düsseldorf so gut gefallen, haben sie schon eine Nachbestellung abgeschickt. Riesige Blumen werden dort in wenigen Wochen aus der Wand blühen.

Bildtext: "Im Sommer habe ich Zeit für solche Großprojekte": In seinem Atelier, dem alten Rheinbahndepot, legen Jacques Tilly und Doris George letzte Hand an die riesigen Figuren.

Bildtext: Um Vogelfrau oder Greif in die Augen schauen zu können, muss Tilly auf die Leiter klettern. Jede der Figuren wiegt 150 Kilo.