Pressespiegel1989 bis 2003NRZ, 25.2.1998, Philosophie

Philosophie und buntes Pappmaché

Neue Rhein Zeitung, 25.2.1998, von Detlev Schönen

Bildtext: Zerstörung ist nur der Anfang: Jacques Tilly fühlt sich auch in den Resten des Rosenmontagszuges wohl - "Karneval ist Kunst für den Sofortverzehr".

Der Aschermittwoch eines Wagenbauers

Aschermittwoch? Abrißstimmung? Jacques Tilly lacht nur. Das Schönste am Karneval ist die Zeit danach, zumindest für einen, der Karneval schön macht. Drei Monate war die Wagenbauhalle die hektische Heimat des 34-Jährigen Designers. Jetzt steht er in seinem Boheme atmenden Atelier, statt eines Pinsels den Hammer am Gürtel, und zeigt auf Farbeimer und Spaghettireste. "Es sind dieselben Sachen. Aber sie haben eine andere Bedeutung."

Eine schönere Bedeutung. Obwohl Tilly seit 14 Jahren Wagen für den Rosenmontag und die Vergänglichkeit baut, und obwohl er sein Honorar als "finanzielle Basis meines Lebens" bezeichnet, genießt er die Stimmung nach dem Spektakel, die Ruhe, die Gelassenheit, die entspannten Dönekes, die zwischen den Ruinen aus Pappmaché die Runde machen. Daß dabei das Werk von Monaten zerstört wird, bedeutet dem hageren Mann mit den stillen Augen nichts: "Karneval ist Kunst für den Sofortverzehr".

So redet einer, der kein Karnevalist ist und doch ein Narr. Einer, der ohne Kappe auskommt. Wenn Tilly im Winter, mitunter 16 Stunden am Tag und in der Nacht, seine Wagen modelliert, dann hört er Cassetten, die er zuvor selbst besprochen hat. Die Bibel etwa oder auch Bücher des Philosophen Peter Sloterdijk: "Ich habe keine Zuflucht im Unmenschlichen mehr, ich bin nur noch der Schauplatz einer Frage..." Das ist zwar wenig komisch, aber es ist der Boden, auf dem Tillys sarkastische bis bitterböse Entwürfe gedeihen.

Vorschläge, die dem studierten Kommunikationsdesigner und Philosophie-Studenten in unschöner Regelmäßigkeit Ärger eingetragen haben. Ein nackter Kohl war der erste Streitfall mit dem Carnevalscomitee, das Busenmotiv der letzte und mittendrin lagen die Kapriolen um den Kruzifix-Wagen. Damals kamen Briefe angeblich kreuzbraver Katholiken ("Du gehörst erschossen, du Sau"). Und inoffizieller Druck offizieller Stellen, etwa als das Erzbistum Köln versuchte, Sponsoren zum Ausstieg aus dem Zug zu bewegen, wenn der Wagen mitfahren würde, auf dem drei Karnevalisten ans Kreuz des bayerischen Kruzifixurteils geschlagen werden sollten. "Damals", sagt Tilly, "habe ich viel über meine Heimatstadt gelernt". Und darüber, daß der Karneval schon längst nicht mehr das darf, was er dürfen muß: alles.

Der Zoff aber hat seinen Marktwert erhöht. Als Grenzgänger zwischen derbem Spaß und intellektuellem Spott hat Tilly seinen Platz gefunden. In der Wagenbauzone am Steinberg hat er eine haushohe Halle mitsamt Büro- und Lagerraum gemietet. Zwischen einem Laufstall ("manche Mitarbeiter haben Kinder") und Obstschalen, zwischen Terpentindosen und Tellerstapeln, die für Wochen reichen, steht längst eine leistungsstarke Spülmaschine. Tilly muß Aufträge nicht mehr akquirieren, sondern aussortieren. Die Unabhängigkeit die er braucht, um sich sommers mit manischer Intensität zum Beispiel der Philosophie zu widmen, verdient er sich durch die Unfreiheit eines Auftragskünstlers in einem Genre, das frei sein sollte von Zensur und Beeinflussung. Und es nicht ist.

"Für Anarchie ist im Karneval kein Platz mehr", weiß Tilly, und er weiß sich darin mit einem einig, der als Gallionsfigur des Düsseldorfer Karnevals gilt. Und nichts weniger sein möchte als das: Hermann Schmitz. Wütend wird der Rosenmontagszugleiter, wenn er in Tillys Atelier die Entwürfe sieht, die Nicht gebaut wurden, etwa der glubschäugige Elch, der statt einer Nase einen Stern trägt. Ein Anruf aus der Stuttgarter Konzernzentrale und der Hinweis darauf, daß auch die Bagagewagen eben diesen Stern tragen, reichten, um das Motiv vorzeitig Müll werden zu lassen. "Feige", findet das Schmitz, der anders als Tilly einem Karnevalsverein vorsteht, jahrelang Hoppeditz war und Prinz obendrein: "Karneval darf vor gar nix bang sein", sagt er, und Tilly nickt dazu. Der Prinz und der Philosoph, zwei Seelenverwandte, die je auf ihre Art beklagen, daß die Obrigkeit, gegen die der Karneval einst auf die Straßen ging, im Elfer-Rat angekommen ist.

Vielleicht, sagt Tilly, ist die Wagenbauhalle der letzte Hort der wahren Narren; ein Ort, in dem erwachsene Männer mit der kindlichen Lust am Streichespielen nächtelang Pappen bemalen und ihre eigenen Funktionäre als "Mützenträger" verspotten. Daß vor Jahren einige akademiegeschulte Künstler ihre lukrative Mitarbeit an Motivwagen peinlich verschwiegen und Verbrüderung penibel vermieden haben, entlockt Tilly nur ein Lächeln. "Es gibt Ernsthaftes und es gibt Ex und hopp", sagt er. Sloterdijk hätte das nicht schöner sagen können. Nur umständlicher.

Zur Zeit ist Tilly wieder bei hopp. Der Aschermittwoch ist der Eintritt in eine andere Welt, die er nach drei Monaten Pappmaché gerne betritt. Er wird wieder Firmen bei ihrem Werbeauftritt beraten, Bücher verschlingen, die gar nicht gedankenprall genug sein können, sich an Helge Schneider erfreuen, an einem Dokumentarfilm über die Kirche und Kirchenkritiker mitarbeiten und vier der fünf Düsseldorfer Zeitungen abbestellen, die für ihn drei Monate lang Pflichtlektüren waren. Weil man gerade als Auftragsnarr wissen muß, was läuft.

Erst im nächsten Winter, wenn die Zeit seiner jecken Klausur wieder beginnt, wird er erneut über Skizzen sitzen und seine Auftraggeber weitgehend vergebens davon zu überzeugen versuchen, daß "die Wahrheit nur in der Karikatur liegt". Damit es Rosenmontag heißt: Es kommt zum Zug. Aber das, weiß Tilly, wird ein Traum bleiben.