Pressespiegel2008WZ, 24.12.2008

Reichtum kann man trainieren

Westdeutsche Zeitung, 24.12.2008, von Jacques Tilly, redaktion.duesseldorf@westdeutsche-zeitung.de

GASTKOMMENTAR: Die Welt ist immer so, wie wir sie sehen wollen

Auch das noch. Da ging es die letzten Jahre gerade wieder ein wenig bergauf, und nun verhageln uns finsterste Wirtschaftsprognosen die Laune. Wenn Armut und Jobverlust drohen, ist es schon hilfreich, sich bewusst zu machen, dass Geld tatsächlich nicht die zentrale Glücksquelle ist. Hier wird wohl kaum einer widersprechen. Was aber ist dann wahrer Reichtum, was zeichnet ein glückliches Leben aus? Gesundheit, Kinder, Liebe und geliebt werden? Schon eher. Doch auch hier habe ich meine Zweifel.

Denn sitze ich plötzlich im Rollstuhl oder zerbräche meine Familie, müsste ich mich als wahrhaft arm bezeichnen. Das kann es doch auch nicht sein. Ich denke, Glück ist eine seelische Grundhaltung, eine konstruktive und wohlwollende Gestimmtheit sich selbst und der Mitwelt gegenüber. Glück ist Zufriedenheit, heitere Gelassenheit und Seelenfriede. Auch hier wird mir fast jeder zustimmen. Wie aber kommen wir dauerhaft in diesen beneidenswerten Zustand?

Jedenfalls gibt es einen Weg, der lang anhaltendes Glück mit Sicherheit unmöglich macht. Und diesen Irrweg gehen leider die meisten Menschen, weil sie ihr Glücklichsein von äußeren Umständen abhängig machen. Unser Glück wird zur unerreichbaren Fata Morgana, wenn wir erst die wahre Liebe gefunden haben müssen, einen guten Job oder unser Idealgewicht erreicht haben. Dann erst, ja dann vielleicht werden wir uns glücklich nennen dürfen.

Wir sind auf dem Holzweg, wenn wir glauben, Glück würde sich nur bei optimalen Lebensbedingungen einstellen. Da können wir lange warten. Die gibt es gar nicht. Es hört sich fast zu simpel an, um wahr zu sein: Glücklich können wir hier und jetzt sein oder aber wir sind es nie. Für das Glück kann man sich ganz bewusst entscheiden. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Denn die Welt ist oft nicht so, wie sie sein sollte. Der Lebenspartner hat eine Dauerkrise, die Tagesmutter ist krank, beruflich gibt es nur Misserfolge, eine Rezession und eine Klimakatastrophe stehen vor der Tür. Das ist die Realität, und entsprechend ist unsere Stimmung.

Oder - und das ist jetzt der entscheidende Punkt - ist es nicht umgekehrt? Schafft nicht vielmehr unsere Gestimmtheit die Realität und färbt sie entsprechend ein? Wenn das so ist, dann hängt die Qualität der Welt von unserer eigenen Sichtweise ab. Das kann jeder leicht nachvollziehen: Wenn wir unglücklich sind, erscheint die Welt kalt, leer und sinnlos, an guten Tagen aber könnten wir die ganze Welt umarmen. Doch nicht die Welt, wir selbst haben uns verändert.

Daraus folgt, dass das Erkennen die Wirklichkeit nicht einfach wiedergibt, sondern sie erst schafft. Qualität und Werte, Sinn und Bedeutung, Schönheit und Hässlichkeit sind unsere eigenen Zutaten, sind die Produkte unserer Psyche. Nichts ist festgelegt, keine Interpretation und Reaktion ist vorgeschrieben. Es liegt an uns selbst, wie wir die Dinge sehen und bewerten. So ist das entscheidende Schlachtfeld um unser persönliches Glück nicht die Berufswelt, nicht die Familie, nicht die Beziehung. Es ist der eigene Kopf. Der Schlüssel zum Glück ist die Qualität unseres Denkens. So einfach ist das. Und so schwer. Denn im Gegensatz zu den großen Kulturen Asiens haben wir im Westen sehr wenig Übungen und Methoden entwickelt, unsere negativen Emotionen unter Kontrolle zu bekommen.

Genau darum aber geht es: Unser Gefühlsleben, unsere Bewertungsmuster und Reaktionsweisen neu und besser zu justieren. Und dabei die klassischen Unglücksquellen wie etwa das Denken in Freund-Feind-Kategorien, maßlose Ansprüche und Schuldzuweisungsreflexe zu identifizieren und weitgehend verschwinden zu lassen. Glück kann man trainieren - das ist doch auch eine frohe Botschaft. Fröhliche Weihnachten.

Jacques Tilly ist Wagenbauer und der kreative Kopf des Düsseldorfer Rosenmontagszuges. Der 45-Jährige gehört zudem zum Kuratorium der humanistischen und antireligiösen Giordano-Bruno Stiftung.