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Jacques Tilly - ein Narr und seine Freiheit

Westdeutsche Zeitung, 8.2.2008, von NN

Die Werkstatt des Karnevals

KARNEVAL Im Düsseldorfer Karnevalszug fahren zehn Mottowagen. Sie bieten Zündstoff und werden bis Rosenmontag geheim gehalten. Wir waren exklusiv in der von Wachleuten abgeschirmten Halle dabei.

Düsseldorf. Sitzungskarneval im Fernsehen - da glänzen eher Köln und Mainz. Aber beim Umzug zeigen die Narren aus der Landeshauptstadt dem Rest der Republik, was eine Harke ist. Der Düsseldorfer Wagenbauer Jacques Tilly entwirft die witzigen Mottowagen und gibt dabei den analytisch starken Scharfrichter. Wie bei Wilhelm Busch geht's bei Tilly der Kreatur an den Kragen: Es wird im Dienste der satirischen Erkenntnis erdolcht, geköpft und eimerweise Blut vergossen. Rückendeckung und Freiraum gibt ihm Jürgen Rieck, der Geschäftsführer des Comitees Düsseldorfer Cameval (CC). "Wir haben uns ein Image erarbeitet", bilanziert Rieck nicht ohne Stolz. Ein Protokoll als Zeitreise.

Karneval 2000: Ein Wagen darf nicht fahren - und das hat Folgen

Joachim Erwin hat der Düsseldorfer Oberbürgermeisterin Marlies Smeets im Herbst 1999 den OB-Sessel weggezogen - in der Stichwahl. Jacques Tilly setzt die Metapher für den Düsseldorfer Karnevalsumzug kurz darauf ins konkrete Bild um: Smeets wird auf dem Mottowagen erdolcht. Die Sozialdemokratin reagiert äußerst verschnupft, will nie wieder zu einer CC-Veranstaltung kommen, wenn der Wagen tatsächlich rollt. Manche Sponsoren des Düsseldorfer Karnevals erklären sich solidarisch und drohen mit Ausstieg. Nach aufgeregten Diskussionen wird der Wagen zurückgezogen.

"Das passiert uns nicht noch einmal", denkt Rieck. Er ist seit 1995 CC-Geschäftsführer und ein harter Knochen. Er arbeitet mit Tilly, der bereits seit 1983 in der Wagenbauhalle den Pinsel schwingt, eng zusammen. Für Rieck ist klar "Ab jetzt bleiben die Mottowagen geheim."

Vorbei die Zeit, da eine große Jury die Entwürfe diskutierte. Die jecke Kunst soll ab sofort ein ästhetischer Alleingang sein, bei dem es darum geht, "der Obrigkeit den Spiegel vorzuhalten und anzukreiden" (Rieck) - und keine demokratische Veranstaltung mit Abstimmungen über den guten Geschmack. Tilly: "Jetzt haben wir Narrenfreiheit." Rieck machen Widerspruch und Skandal nichts aus: "Sollen sie uns doch nach Karneval an die Wand stellen und mit Tomaten bewerfen. Hauptsache, sie lassen uns bis dahin in Ruhe."

In den Folgejahren werden die frechen Wagen zum Markenzeichen des Karnevals aus der Landeshauptstadt. Die Erwartung ist bundesweit gewachsen: "Was haben sich die Düsseldorfer wohl wieder einfallen lassen?"

Sommer 2007: Ein Thema drängt sich auf - das miese Femsehen

"Tilly, wir müssen was übers Fernsehen machen. Ich kann den Dreck nicht mehr sehen." Es gibt internationale und bundesweite Themen, die sich länger aufbauen: Irak-Krieg, Islamismus - oder auch die Fernsehkultur, die seit "Big Brother" in all ihrer Quotengier von einer Schlammkuhle in die nächste fällt. "Die Sendungen werden wegen der Werbeeinnahmen immer niveauloser", wettert Rieck: "Unerträglich."

Den Intellektuellen Tilly kostet es keine Überwindung, dazu Ideen zu entwickeln. Der inzwischen vergessene "Super-Star" Daniel Küblböck hat ja bereits auf einem Mottowagen Kakerlaken gekaut, dass die Gülle grün spritzte. "Müll ist Müll", sagt Tilly - und als Müllhaufen ist der TV-Schrott der Privatsender gestern gefahren. "Da muss dann auch keiner nachdenken."

7. Januar 2008: Erste Sichtung - ein Termin mit bis zu 40 Entwürfen

Nicht nachdenken müssen, das ist tatsächlich ein wichtiges Kriterium bei der Motivwahl. Rieck: "Wenn der Wagen um die Ecke kommt, muss man ihn gleich verstehen. Wir können kein Beiblatt verteilen, damit man weiß, was gemeint ist."

Am Ende werden von rund 40 Entwürfen nur um die zehn verwirklicht. Putin, der abgehackte Köpfe von Presse und Opposition hochhält, fliegt raus (siehe unten). Oskar Lafontaine darf ebenfalls nicht im Düsseldorfer Zug mitfahren. Auf einem Entwurf küsst ihm der knieende Gregor Gysi die lange Nase, auf einem anderen ist Oskar ein linker Vogel. "Schade, eines davon hätte ich gern gezeigt", sagt Tilly. "Wir haben ja in den letzten Jahren viel auf dem rechten Lager herumgeklopft." Aber das CC will dem roten Saarländer wohl nicht allzu viel Ehre angedeihen lassen.

Vor allem US-Präsident Bush hat sich Tilly immer wieder vorgeknöpft. "Er ist ja nicht gerade sein innigster Freund. Ich bin da nicht ganz so kritisch", sagt Rieck, der froh ist, dass jetzt das Paar Obama-Clinton und nicht Bush interessant ist. Tilly kontert: "Herr Bush wird jetzt einen ruhigen Lebensabend haben wie sein Vater. Gestorben sind ja andere."

Trotz seiner konservativen Grundhaltung war Rieck dafür, dass Angela Merkel 2003 einem Uncle Sam aus dem Allerwertesten kriecht und stolz US-Fähnchen schwenkt. "Damals ist sie dem friedensbewegten Europa mit ihrer Washington-Reise in den Rücken gefallen", erinnert sich Tilly. Ein echter Rieck sei der Wagen gewesen. "Er sagt immer: Wir brauchen Kracher. Ihm kann's nicht scharf und bissig genug zugehen. Für mich ist das gut." Und wenn Tilly nicht ganz so hinlangt wie erhofft, dann sagt Rieck: "Damit kannst du ein Altenheim tapezieren."

Es gibt noch zwei weitere Personen, die an den Wagen als Ideengeber mitbasteln und natürlich am Ende alle Entwürfe sehen, die rollen sollen: Zugleiter Hermann Schmitz und CC-Präsident Engelbert Oxenfort. Als voriges Jahr die NPD als Exkrement aus dem Hintern Hitlers quoll, befürchtete Tilly, Oxenfort würde den Wagen aus Geschmacksgründen streichen. Aber nein, der fand das super und sagte: "Immer druff, denen muss man's geben."

22. Januar 2008: Bernd Stelter bringt Nokia in den Zug

Es gab Subventionen, es gab gute Gewinne - aber Nokia macht das Werk in Bochum zu. Der Protest wird immer breiter. Tilly wird aufmerksam, als Bernd Stelter auf der Bühne steht und auf "Griechischer Wein" ein Lied gegen die Finnen singt. Das Echo ist frenetisch, Stelter sagt im Express: "Ich habe den Leuten wohl aus der Seele gesprochen."

Tilly will das Gleiche, nämlich "der Meinung, die im Raum schwebt, ein Bild geben". Er malt: Das Nokia-Handy wird zum Griff eines Dolches, der drei Menschen durchstößt. Ein Mitarbeiter sieht das Bild, ihm fällt spontan Nokias Werbespruch ein. "Ach guck mal: Connecting people." Rieck strahlt: "Super-Idee." Tilly lächelt süffisant: "Schön, das spricht den Leuten aus dem Herzen."

27. Januar 2008: Wahl in Hessen - Roland Koch zerschmettert

Den hessischen Ministerpräsidenten hat sich Tilly bereits im Jahr 2000 vorgenommen. Er überlebte damals den Parteispendenskandal nur knapp, Tilly zeigte ihn als "ausgeKOCHtes Schwein" mit Apfel im Mund. Jetzt, nach dem Absturz bei der Landtagswahl, hat Tilly zunächst wieder die gröbsten Ideen. Koch als Braten am Spieß, im Fleischwolf, es gibt diverse Hinrichtungsszenen. Dann aber entscheidet er sich für eine psychologische Variante: Koch zeigt mit der einen Hand das Victory-Zeichen, in der anderen hält er seinen Kopf hoch - als sei er sein eigener feindlicher Feldherr. "Das Bild trifft's am besten: Koch ist abgewählt, er ist tot - aber er will es noch nicht wahrhaben." Tilly ist bester Dinge. "Es macht einfach Spaß, ihm einen reinzuwürgen."

30. Januar 2008: Claudia Roth löst das letzte Zugticket - als Muslima

Besprechung Tilly und Rieck. Der Wagenbauer ist noch nicht zufrieden. Nokia und Koch haben Biss, aber ihm ist's noch nicht lebendig genug. Im Zug fahren Merkel und Beck mit, die wie ein altes Ehepaar in einer Unterhose stecken und sich nicht riechen können, ebenso dabei ist der gute alte Osama, der in Blut badet, und OB Erwin als dem Bauwahn verfallener Pharao.

Aber der unabhängige Geist Tilly möchte noch einen Wagen mit Konfliktstoff, einen, der vielleicht eine Kontroverse auslöst. Rieck stimmt am Ende zu: Das letzte Zugticket löst die verschleierte Grünen-Chefin Claudia Roth, die alle Muslime ganz doll lieb hat. Das passt dem Religionskritiker Tilly gut ins Konzept. Außerdem bekommen so auch die Linken ihr Fett weg. So kurz vor Rosenmontag noch Wagen bauen - das schaffen nur die Düsseldorfer. "Zwei Wagen würden wir am letzten Wochenende noch bauen können", sagt Tilly.

31. Januar 2008: Richtfest - mit Verteidigung der Narrenfreiheit

Beim Richtfest der Karnevalswagen im alten Bilker Straßenbahn-Depot bleibt eine Halle verschlossen. Drinnen entsteht aus Biegestäben, Dachlatten, feinem Maschendraht und Blumenpapier mit Leim gerade Claudia Roth - draußen stehen die Wachleute. "Wir hatten da mal eine Überraschung", sagt Rieck, und die soll sich nicht wiederholen.

Vor zwei Jahren schlüpfte der Oberbürgermeister beim Richtfest durch die Tür zu den Mottowagen und regte sich auf: Als Anti-Terror-Maßnahme steckte sich da der US-Präsident einen Revolver in den Mund. Das gefiel dem Amerika-Freund Erwin gar nicht, schließlich sollte der Düsseldorfer Zug sogar in New York im Fernsehen gezeigt werden. Skandal! Das CC entschloss sich, da nun der Wagen bekannt war, ihn nicht rollen zu lassen. Zensur war das aber nicht, findet Rieck. "Er hat uns nichts verboten, das ginge auch nicht."

Der Wiederholungsfall ist nun durch die Security ausgeschlossen. Als Erwin voriges Jahr wieder vor der Tür zu den geheimen Wagen stand, musste er unverrichteter Dinge umdrehen. Denn Grenzen wollen sich die Karnevalisten nur selbst setzen. Zum Beispiel scheidet Kindesmissbrauch als Thema aus, sagt Tilly spontan. Rieck: "Wir machen nichts gegen die persönliche Ehre und wir ziehen nicht die Familie mit rein." Allerdings hielt man sich vor zwei Jahren wegen des hochkochenden Karikaturenstreits bei den Moslems zurück: Ein Wagen zum Thema Verschleierungszwang, der bis zum Überstülpen einer Mulltüte reichte, wurde aus politischer Räson nicht gebaut. Auch die Narrenfreiheit hat immer wieder ihren Ernstfall...

Der Nokia-Wagen mit dem Werbespruch der Finnen zeigte sich bereits gestern Nachmittag als Renner. "Spiegel online" sprach von den "traditionell besonders bissigen Mottowagen in Düsseldorf" und beim nationalen Rundumschlag der Deutschen Presse-Agentur schaffte es der Wagen in den Titel: "Messerstiche von Nokia am Rosenmontag".