Pressespiegel2007WZ, 6.7.2007, Giordano

"Kein Artenschutz für Religion"

Westdeutsche Zeitung, 7.6.2007, von Alexander Schulte

INTERVIEW Kruzifix, Meisner, Mullahs: Jacques Tillys Karnevalswagen haben für Aufregung gesorgt. Er gehört zum Kuratorium der Giordano Bruno Stiftung, die gegen alle Religionen arbeitet.

Der Düsseldorfer Karneval ist stolz auf Jacques Tilly. Der 43-jährige Bildhauer und Kommunikationsdesigner hat sich mit seinen künstlerisch anspruchsvollen, spektakulären Mottowagen für den Rosenntontagszug längst republikweit einen Namen gemacht. Vor allem, weil der Meister des gebauten Witzes gerne an die Grenzen der Narrenfreiheit geht.

Wenn er freilich satirisch die Religionen aufs Korn nahm, handelte er sich schon 'mal heftigeren Ärger ein: Sein "Kruzifix-Wagen" 1996 durfte nur verhüllt im "Zoch" rollen, 2005 ließ er Kardinal Meisner eine Frau auf dem Scheiterhaufen anzünden, die bekannte: "Ich habe abgetrieben". Und in diesem Jahr legte er sich mit den Muslimen an, als er zwei identische, schwer bewaffnete Mullahs zeigte - auf einem Sprengstoffgürtel stand "Klischee", auf dem anderen "Wirklichkeit".

Weniger bekannt im Karneval dürfte sein, dass Tilly ein scharfer Gegner aller Religionen ist. So sitzt er im Kuratorium der Giordano Bruno Stiftung (siehe Kasten), dem "Think-Tank der deutschen Atheisten" ("Der Spiegel").

Woher kommt eigentlich Ihre Aversion gegen das Christentum?

Tilly: Ich habe eher eine Aversion gegen religiöses Denken, das sich in der Politik breit macht. Letztlich sind für mich Religionen Wahngebilde, und ich möchte nicht, dass die solch einen beherrschenden Einfluss haben. Als Demokrat lege ich großen Wert auf die Trennung von Kirche und Staat - in Deutschland zum Beispiel gilt die aber leider nur formal, nicht faktisch.

Seit wann befassen Sie sich so intensiv mit Religion und Humanismus?

Tilly: Ein Auslöser war im Januar 1996 Ihre Zeitung. In der WZ erschien im Zusammenhang mit dem Streit um meinen Kruzifix-Wagen ein absolut unverschämter Leserbrief von Monsignore Moll, in dem der ehrenwerte stellvertretende Stadtdechant sogar den Holocaust-Knüppel gegen mich einsetzte. Beide Kirchen starteten damals eine regelrechte Kampagne gegen den Wagen und hatten letztendlich Erfolg. Das zeigte mir, wie groß ihr Einfluss in Düsseldorf noch war. Ich begann kirchenkritische Bücher, vor allem von Karlheinz Deschner, zu lesen, das Thema hatte mich gepackt.


"Meine Zielgruppe im Karneval sind die Menschen auf der Straße. Es ist nicht meine Aufgabe, dem Zoch eine Weltanschauung unterzujubeln."
Jacques Tilly

Man könnte den Verdacht hegen, Sie nutzten ihre medial weltweit präsenten Karnevalswagen, um Werbung für die Bruno Stiftung zu machen und in derem Sinne das Christentum zu attackieren.

Tilly: Aber dieser Verdacht ist wirklich abwegig, denn ich trenne das strikt. Das sage ich übrigens auch den Leuten in der Giordano Bruno Stiftung. Sehen Sie: Ich mache 30 Entwürfe für Karnevalswagen pro Session, und alle paar Jahre sind da ein, zwei Wagen bei, die eine Religion aufs Korn nehmen. Ich glaube sagen zu können, dass meine Breitseiten breit verteilt fliegen. Wenn radikale Atheisten übers Ziel hinausschießen, kann ich mir gut vorstellen, auch Ihnen 'mal einen Wagen zu widmen. Nein, meine Zielgruppe sind die hunderttausenden Menschen auf der Straße, vor allem die sollen sich in den Wagen wiederfinden. Karneval ist ein Volksfest, und es ist nicht meine Aufgabe, dem Zoch eine Weltanschauung unterzujubeln.

Aber die Stiftung und auch Sie langen ganz schön deftig zu, zum Beispiel mit der Postkartenaktion "Glaubst du noch oder denkst du schon?" Halten Sie ernsthaft alle Christen und Theologen für naive Nicht-Denker?

Tilly: Nein, der Spruch ist auch nicht meiner, das ist mir zu sehr schwarz-weiß gedacht. Aber ich habe durchaus die Theologen auf dem Kieker, da scheint mir viel Schaumschlägerei im Spiel zu sein. Sie wissen selbst, dass man in der Mediengesellschaft stark zuspitzen muss, um gehört zu werden - die schärfste These kommt sozusagen durch. Auch deshalb sind manche meiner satirischen Karnevalswagen stark gepfeffert. Im persönlichen Gespräch mag ich so eine Art gar nicht. Im Karneval aber lässt sich keine Partei, Religion oder Weltanschauung unter Artenschutz stellen.

Verstehen Sie den Vorwurf der Verletzung religiöser Gefühle von vielen Menschen?

Tilly: Mir geht es um eine kritische Gegenstimme bei all der Jubelei - etwa um den alten und den jetzigen Papst. Ich veräppele aber nie das religiöse Zentrum an sich, nur hohe Würdenträger wie Kardinal Meisner. Zu dessen Wagen 2005 hat mich übrigens auch die WZ mit einem sehr scharfen Kommentar gegen Meisner ermutigt. Beim Kruzifix-Wagen 1996 jedoch wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, dass man in der Narrenfigur am Kreuz eine Verhöhnung Jesu sehen könnte.

Kasten:

DIE GIORDANO BRUNO STIFTUNG

URSPRUNG: Benannt nach dem Dominikaner Giordano Bruno, der 1600 als Ketzer hingerichtet, gegründet 2004. Vorsitzender ist der Unternehmer Herbert Steffen, Vorstandsprecher Michael Schmidt-Salomon. In Kuratorium und Beirat sitzen neben Jacques Tilly (Foto) vor allem - meist emeritierte - Professoren. Der Förderkreis hat 400 Mitglieder.

ZIELE: Die Stiftung zur "Förderung des evolutionären Humanismus" setzt auf Wissenschaft und Aufklärung, um ethische Maßstäbe zu entwickeln, und wehrt sich gegen den Einfluss der Religion ("naiver Kinderglaube"), die die kulturelle Evolution der Menschheit oft "unheilvoll beeinflusst" habe.

Bildtext:

Heftige Proteste der katholischen Kirche provozierte Tillys "Meisner-Wagen" an Rosenmontag 2005. Archivfoto: Nanninga