Pressespiegel2006ARD-Sendung MONITOR, 23.2.2006

Religionskritik oder Gotteslästerung: Wo beginnt Zensur?

ARD Sendung Monitor, 23.2.2006, Bericht: Ralph Hötte, Georg Restle

Sonia Mikich: "Was darf ich sagen und denken, worüber darf ich lachen und spotten? Seit dem Karikaturenstreit ist nichts mehr klar, nur eins: Es gibt eine neue Angst. Die Angst, missverstanden zu werden. Die Angst, Gewalttaten zu provozieren.

Wie bitte? Angst? In der Satire? In der Kunst? In den Medien?

Georg Restle und Ralph Hötte über die Folgen des Karikaturenstreits, jetzt hier vor unserer Haustür. Wir hatten mal Narrenfreiheit, Meinungsfreiheit und keine Angst - das waren tolle Tage!"

Ein Mullah aus dem Iran, eingezwängt in einen US-amerikanischen Burger. Und ein Kreuz als Waffe im Glaubenskrieg. Klare Bekenntnisse auf dem Düsseldorfer Rosenmontagszug im letzten Jahr. Ein Kölner Erzbischof als Inquisitor. Kritik an Kirchen gehörte in Düsseldorf quasi zum guten Ton. Narrenfreiheit ohne Hemmungen.

In vier Tagen ist es wieder soweit. An den aktuellen Düsseldorfer Karnevalswagen wird immer noch gebastelt. Nur religiöse Motive sind dieses Jahr tabu. Der Karikaturenstreit hat seine Spuren hinterlassen. Angst hat sich breit gemacht unter den Karnevalisten, Angst vor Überreaktionen der Glaubensfanatiker.

Jürgen Rieck, Comitee Düsseldorfer Carneval e.V.: "Das sind Dinge, die können wir nicht steuern. Und was wir nicht steuern können im Rosenmontagszug, und wofür wir auch nachher eine gewisse Konsequenz nicht absehen können, dafür muss ich ganz ehrlich sagen, können wir nicht uns hergeben und wollen das auch nicht tun."

Reporter: "Das heißt, beim diesjährigen Karneval fahren keine religionskritischen Wagen mit?"

Jürgen Rieck, Comitee Düsseldorfer Carneval e.V.: "So wie der Stand der Dinge zur Zeit ist, nein."

Entwürfe für die Karnevalswagen. Karikaturen, gezeichnet von Jacques Tilly, dem künstlerischen Chef des Düsseldorfer Rosenmontagszugs. Keine Kritik an Religionen. Tilly muss die Entscheidung seiner Auftraggeber akzeptieren - und hält dagegen. Er würde nicht in die Knie gehen vor den religiösen Scharfmachern aus dem Mittleren Osten.

Jacques Tilly, Künstler: "Also ich denke, das ist für uns alle schon sehr bedrohlich, weil wir halt im Moment sehen, dass der Rahmen, indem wir uns bewegen als Satiriker, als Karikaturisten, halt sehr, sehr eng ist und dass der auch immer enger wird. Und wir müssen halt alles daran setzen, diesen Rahmen zu verteidigen und jetzt nicht in die Defensive zu gehen und kleinlaut beizugeben, sondern zu sagen, wir müssen ganz klar sagen, das sind unsere Werte und keinen Millimeter zurück!"

Selbstzensur im Karneval. In Köln gibt es eine Narrentruppe, die frecher ist als alle anderen: Die Stunksitzung. Dieses Jahr im Programm: Schleichwerbung bei einem islamischen Selbstmordattentäter.

Stunksitzung: "Wir werden uns rächen für das vergossene Blut! Und mit aller Kraft zurückschlagen!"

"Sehr gut, weiter!"

"Ihr Feiglinge! Ihr kleinen Feiglinge! Ihr Kümmerlinge! Ihr Froschgesichter!"

Die Nummer läuft seit vielen Wochen. Die Schlagzeilen gab es vor wenigen Tagen. Plötzlich gilt als gefährlich, was gerade noch witzig war. Lokalpolitiker fordern, den Sketch abzusetzen.

Josef Müller, Stellv. Bürgermeister Köln, CDU: "Ich würde das jetzt in dieser Situation nicht machen. Man versucht auch da Dschihad und die Hamas in ein ... schlechtes Licht zu stellen. Das könnte diese Menschen wiederum davor ... darin bestärken, andere Maßnahmen, Gegenmaßnahmen zu ergreifen."

Reporter: "Wie fanden Sie die Szene?"

Zuschauer: "Ich fand sie köstlich, hab mich amüsiert und ein bisschen ist mir der Witz auch im Hals stecken geblieben. Aber ich finde es jetzt eben nicht so bedenklich, dass man sie aus dem Programm nehmen müsste, man sollte drüber diskutieren."

Zuschauer: "Natürlich witzig gemacht, aber schon sehr bedenklich."

Reporter: "Warum?"

Zuschauer: "Weil es halt auch schon gefährlich werden kann."

Zuschauer: "Ich finde, wir sind hier in Deutschland, hier gilt unsere Idee von Presse- und Meinungsfreiheit, und das sollten wir auch so leben."

Die Macher der Stunksitzung halten an ihrem Programm fest. Und spüren doch, wie schnell aus Bedenken Selbstzensur werden kann.

Winni Rau, Kölner Stunksitzung: "Wir haben vor Jahren 'ne Nummer auf der Bühne gehabt, da haben sich Taliban in die Luft gesprengt auf dieses Lied "Hey Mister Taliban" von Harry Belafonte. So 'ne Nummer, die würde man heute sich vielleicht gar nicht mehr trauen, zu machen. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, mal dahingestellt. Aber ich glaube, die Schere im Kopf, die wird immer größer und das ist natürlich ein Problem."

Wie umgehen mit religiösen Symbolen in hochsensiblen Zeiten? Auch ein Streit, den die Stunksitzung mit der katholischen Kirche hat, erscheint nach dem Karikaturenstreit in neuem Licht. Zwei Kabarettisten, die den Kölner Erzbischof und den Papst als selbstgefällige Popstars inszenieren. Ein Nachklapp zum Weltjugendtag. Standbilder von einem umstrittenen Sketch: Zwei Kirchenmänner als selbstverliebte Jungs, die unter einer Decke stecken. Ein Plüschkreuz und ein Kuss unter Kirchenfürsten. Das war dem Kölner Erzbistum zu viel: Die offizielle Kirchenzeitung sprach von einer "fiesen, unappetitlichen Szene", mit der die "Kirche durch den Dreck gezogen" werde. Der Fernsehdirektor des WDR entschied, den umstrittenen Sketch in der TV-Übertragung der Stunksitzung nicht zu zeigen.

Ulrich Deppendorf, WDR-Fernsehdirektor: "Es gibt sicherlich das Gebot, ich sag mal fast, der Satirefreiheit. Aber es gibt auch die WDR-Programm-Grundsätze, und die sagen halt, in einem Absatz, in einem Paragraphen: Die religiösen Überzeugungen der Bevölkerung sind zu stärken und zu achten. Und wir haben hier Gefahr gesehen, beziehungsweise eine Verletzung dieses Programmgrundsatzes, und deswegen habe ich entschieden, dass diese Szene nicht gezeigt wird."

Bruno Schmitz, Kabarettist: "Ich find's schade, was der WDR macht, also dass er nicht den Mut hat, diese Szene der Öffentlichkeit zu präsentieren. Ich denke gerade jetzt in der Situation müsste der WDR das tun und sagen: 'guckt mal hier, ihr lieben Muslime, wir leben in einer Demokratie, hier wird Religion oder werden Religionsfürsten irgendwie karikiert, aber wir gehen damit anders um.'"

Reporter: "Was sagen Sie dazu?"

Ulrich Deppendorf, WDR-Fernsehdirektor: "Politische Gegebenheiten, politische Situationen können letzten Endes aber auch nicht dazu führen, dass ich Programmgrundsätze verletze."

Streit um religiöse Symbole, auch im Kölner Schauspielhaus. "Europa für Anfänger" heißt das Erfolgsstück. Um Religion geht es nur am Rande. Eigentlich wollte das Ensemble mit diesem Stück Werbung machen für den Beitritt der Türkei zur EU. Und das in Istanbul. Daraus wird jetzt nichts. Der deutsch-türkische Wirtschaftsverband hat die Kölner wieder ausgeladen. Aus Angst davor, dass manche Szenen zu provokant sein könnten - gerade nach dem Karikaturenstreit.

Marc Günther, Intendant Kölner Schauspielhaus: "Ich bin eigentlich sehr traurig darüber. Traurig deswegen, weil ich denke, dass wenn es schon nicht mehr geht, dass man ein Stück, das sich für die Türkei, für den Beitritt, für die Integration, für den Zusammenhalt in der EU so in die Bresche schlägt, dass das bereits im Rahmen des Karikaturenstreites in der Nachfolge die Sensibilitätsgrenze unserer Nachbarn im Osten überanstrengt oder überstrapaziert, und man dann tatsächlich Gewalt, Mord oder was auch immer denkt. Dann frage ich mich wirklich, wenn das so wäre, wo dann überhaupt noch 'ne Kommunikation möglich ist."

Die Bilder von brennenden Botschaften und der Aufruhr der Glaubensfanatiker. Sie haben Grenzen gesetzt in den Köpfen der Künstler und Narren. Im Namen der Religion.

Selbstzensur, Angst vor Missverständnissen und die Schere im Kopf: Es hat schon tollere Tage gegeben im Karneval am Rhein.

Sonia Mikich: "Respektlosigkeit und Kritik - sie machen uns stark, Angst macht uns klein. Ich habe eine sehr klare Haltung zur Meinungsfreiheit. Sie darf Gemeinheiten, Geschmacklosigkeiten, sogar Tabubrüche einschließen, sonst ist sie nichts wert!"