Pressespiegel2006Aachener Nachrichten, 21.2.2006

Wagenbauer zieht fast alles durch den Kakao

Aachener Nachrichten, 21.2.2006, von Christof Müller

Jacques Tilly: "Karneval ist nicht nur Humor, sondern auch Satire." Mancher seiner Entwürfe wurde von den Obernarren aber als zu lasch abgewiesen. Im Düsseldorfer Rosenmontagszug wird es keine Islam-Motive geben.

Düsseldorf. Zwischen überdimensionalen Pappnasen und Schrumpfköpfen sägt Jacques Tilly Holzplatten für einen Karnevalswagen zurecht. Seit Wochen herrscht Hochbetrieb in dem alten Bahndepot im Düsseldorfer Süden: Tilly bastelt mit seinem Team an den Motto- und Prunkwagen für den diesjährigen Düsseldorfer Rosenmontagszug. "Islam-Motive wird es nicht geben", sagt Deutschlands bekanntester Karnevals-Wagenbauer angesichts der jüngsten Proteste von Muslimen.

Dabei hat er schon fast alles und jeden durch den Kakao gezogen. Tillys Motive sorgen immer wieder für erhitzte Diskussionen: Er schickte eine Figur des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder im Adamskostüm über die Straßen, ließ die heutige Kanzlerin Angela Merkel aus dem Allerwertesten von Uncle Sam kriechen oder Kardinal Joachim Meisner unter einer Frau, die abgetrieben hat, einen Scheiterhaufen entzünden.

Viele Jecken fragen: Darf der das? "Karneval ist nicht nur Humor, sondern auch Satire", rechtfertigt sich der 42-Jährige. Seine Ideen muss er dennoch von der Chefetage des Comitees Düsseldorfer Carneval absegnen lassen. "Mancher Entwurf wurde aber auch schon als zu lasch abgewiesen."

Trotz energischen Drängens einiger Neugieriger bleiben die Motive bis Rosenmontag streng geheim. "Umso größer ist der Aha-Effekt an Rosenmontag. Das hat sich bewährt", sagt Tilly. Von wütenden Protesten bis zu anonymen Morddrohungen reichen die Reaktionen auf seine Wagenmotive. Tilly bleibt gelassen: "Wir sehen Beschimpfungen als Auszeichnung unserer Arbeit." Die Düsseldorfer Jecken lieben den frechen Karneval. "Wurde der Karneval etwa nicht erfunden, um die Obrigkeit zu veräppeln?", fragt er lausbübisch.

Seine Kreationen sind in einer von ihm entwickelten Leichtbauweise konstruiert und äußerst wandlungsfähig. "Die Figuren und Wagenteile bestehen aus einem Drahtgeflecht und sind mit Blumenpapier überzogen, das in Klebstoff getränkt ist", erklärt der Wagenbaumeister. Noch wenige Stunden vor dem Zugbeginn kann er so Teile ändern. "Es kam schon vor, dass Wagen aus der Halle grollt sind und die Farbe noch nass war." Im Notfall braucht er nur 24 Stunden um einen neuen Mottowagen zu bauen.

Anders dagegen die Kölner Konkurrenz, die ihre Wagen schon im Herbst konzipiert. Die Pappmaché-Köpfe von Otto Schily, Joschka Fischer oder Angela Merkel gehen dem Künstler leicht von der Hand. "Bei Angie gilt: Topfschnittfrisur, müde Augen und Hundeblick - fertig", sagt Tilly. Dagegen brachte ihn der Nachbau von Jürgen Rüttgers und Manfred Stolpe schier zu Verzweiflung. Zum Höhepunkt der närrischen Saison rollen Tillys Wagen in diesem Jahr im "Zoch" mit mehr als 5600 Jecken und 46 Kapellen durch die Düsseldorfer Innenstadt. Mit 6,5 Kilometer ist der diesjährige Zug der längste der Stadtgeschichte.

Doch am Aschermittwoch haben auch die verrücktesten Karnevalswagen ausgedient. "Das ist wie beim Essen: Es hat geschmeckt und nun wird abgeräumt", erzählt Tilly nüchtern. Wenn die närrischen Tage vorbei sind, kehrt in seinem Team wieder Alltag ein. Dann gestalten sie Plastiken für Filme und Messen. (dpa)


Dazu mehr im Internet:
www.karnevalswagen.de


Bildtext:
Hält seine Motive bis zum Rosenmontagszug geheim: Wagenbauer Jacques Tilly hat mit seinen frechen Motiven schon oft für wütende Proteste gesorgt. Foto: dpa


Kasten in der Mitte:
"Wir sehen Beschimpfungen als
Auszeichnung unserer Arbeit."

DER DÜSSELDORFER WAGENBAUER
JACQUES TILLY ZU WÜTENDEN
PROTESTEN UND MORDDROHUNGEN