Pressespiegel2006RP, 16.2.2006

Architekt des Frohsinns

Rheinische Post, 16.2.2006

INTERVIEW: Bildhauer und Wagenbauer Jacques Tilly zum Karikaturen-Streit und zu seinem Verständnis von Kirche. Der 42-Jährige will beim Rosenmontagszug auf Islamkritik verzichten. Die Sicherheit der Besucher gehe vor.

Was darf Karneval? Und was nicht? Die Auseinandersetzung um die Mohammed-Karikaturen stellt die Macher vor eine schwierige Entscheidung. RP-Redakteur Jörn Tüffers sprach mit Jacques Tilly. Der Bildhauer und Wagenbauer gestaltet einen großen Teil der Wagen im Rosenmontagszug.

Greifen Sie den Streit um die Mohammed-Karikaturen im Zug auf?

Tilly Ich habe bereits Skizzen gemacht. Die liegen noch in meiner Schublade. Es wird aber keine islamkritische Satire geben. Es ist leider nicht zu erwarten, dass sich die Wogen in den verbleibenden anderthalb Wochen glätten werden. Das Thema ist einfach zu heikel.

Messen Sie da mit zweierlei Maß? Im vergangenen Jahr haben Sie die Katholische Kirche und Joachim Kardinal Meisner als radikalen Abtreibungsgegner angeprangert.

Tilly Für mich können alle Religionen satirisch wunderbar dargestellt werden. Aber in diesem aktuellen Fall muss man die Sache überdenken und die Maßstäbe neu setzen. Ich denke vor allem an die Sicherheit der rund eine Million Menschen, die den Zug sehen werden. Wenn das CC es sich noch anders überlegt, können wir innerhalb von zwei Tagen einen Wagen bauen.

Nicht allein wegen der Kritik an der Kirche heißt es bisweilen, der Düsseldorfer Zug überschreite die Grenzen des guten Geschmacks.

Tilly Solche Stimmen gibt es. Oft kommen sie aus Kirchenkreisen - oder aus Köln. Manchmal ist das ja ein und dasselbe. Fundamentalismus gibt es in allen Glaubensgemeinschaften. Ich bin weltanschaulich neutral - deshalb erlaube ich mir, mit dem Blick des Narren auf Missstände hinzuweisen.

Keine Tabus?

Tilly Wieso? Ich habe auch nie eingesehen, dass im Karneval Krieg nicht aufs Korn genommen werden darf. Das, was gerade in der Luft ist, was die Menschen beschäftigt, muss man ausdrücken können. Der Ursprung des Karnevals beruht in seiner anarchischen Wurzel. Die Machtverhältnisse werden umgekehrt. Der Narr ist König. Mit dem Mottowagen ist es wie mit Nudeln: Sie müssen bissfest sein. Nichts ist schlimmer als verkochte Pasta.

Ihnen war ein Flirt mit Köln nachgesagt worden. Sie wurden mit Zugleiter Christoph Kuckelkorn in einer Kölner Kneipe gesehen.

Tilly Da ist viel reininterpretiert worden. Es war ein interessantes Gespräch. Mehr nicht. Ich gebe ja zu: Ich würde gerne mal den Kölner Zug live erleben. So als Fortbildungsmaßnahme. Aber ich muss ja hier sein.

Wo verfolgen Sie den Zug?

Tilly Ich stehe auf einer großen Leiter am Steigenberger und mache Fotos von meinen Wagen. Es gibt keinen besseren Zeitpunkt, um meine Arbeit festzuhalten. Danach wird das meiste ja entsorgt.

Wie verkleiden Sie sich?

Tilly Als Junge habe ich mich immer als Teufelchen verkleidet. Jetzt setze ich mir einen großen orientalischen Fez au den Kopf. Das hält auch schön warm.

Welche Rolle spielt die Düsseldorfer Politik in diesem Jahr?

Tilly Wir haben uns etwas einfallen lassen. Aber das verraten wir nicht. Eine zu große Rolle spielt dieses Thema aber nicht. Schließlich kommen längst nicht alle Zugbesucher aus Düsseldorf. Im Vorjahr hatten wir viel Spaß an Erwin, der Hock aus dem Nest jagt. Also werden die beiden dieses Mal wohl nicht wieder auf einen Wagen kommen.

INFO-Kasten:
Pappkamerad

Seit 23 Jahren baut Tilly Wagen für den Rosenmontagszug. Mit einem birnenförmigen Kanzler Kohl fing es an. Vor sechs Jahren entschied sich der studierte Kommunikationsdesigner, ausschließlich Skulpturen, Kulissen und Dekorationen zu bauen. www.sculpturepark.de

Bildunterschrift
Die nächste und die heutige Generation der Wagenbauer: Camillo (7) und Jacques Tilly (42).
RP-FOTO: ANDREAS BRETZ