Pressespiegel2006Westfälischer Anzeiger, 11.2.2006

Ansehnlich anprangern

Westfälischer Anzeiger, 11.2.2006, von Bernd Luig

Jacques Tilly gestaltet "scharfe Wagen" für den Düsseldorfer Rosenmontagszug

Köln sei Langweilig. "Denen fehlt Pfeffer", stichelt Jacques Tilly. Selbstbewusst stellt er sich als derjenige vor, der die "scharfen Wagen" gestaltet - für den Düsseldorfer Rosenmontagszug. Seine Provokationen aus Pappmaschee garantieren Jahr für Jahr Aufruhr und Skandale. USA-Freundin Merkel ließ er bei dem Verbündeten winkend aus dem Allerwertesten kriechen. "Pleite"-Verwalter Schröder tauchte splitternackt auf. Kardinal Meisner bekam sein Fett ab als "Inquisitor", der unter einer Frau ("Ich habe abgetrieben") den Scheiterhaufen entzündet. Die eigene Narrenfreiheit verdankt Jacques Tilly der besonderen Traditionspflege in der Landeshauptstadt. "Politische Satire in dieser Form ist ungewöhnlich im Karneval", weiß der 42-Jährige. "Das ist nur zu machen, wenn man eine solche Rückendeckung hat wie ich." Die Zusammenarbeit mit dem Karnevalskomitee, das jeden Entwurf eingehend prüft und genehmigt, sei sehr gut. "Geschäftsführer Jürgen Rieck hat wirklich Mut, der wünscht sich in jedem Jahr "scharfe Wagen."

Knochenleim und Maschendraht

Was die Gemüter erregt und weltweit Zeitungsseiten schmückt, entscheidet Jacques Tilly meistens auf den letzten Drücker. "Politische Themen haben eine kurze Halbwertzeit. Mit ihrer Umsetzung darf man bloß nicht zu früh anfangen", skizziert der Bildhauer das Erfolgsrezept. In dieser Session hat der gebürtige Düsseldorfer drei Wochen vor Rosenmontag den ersten politischen Entwurf gezeichnet. Vom Zeitdruck fehlt in seinem Atelier allerdings jede Spur. Professionelle Geschäftigkeit und jahrelange Erfahrungen prägen die ruhige Atmosphäre. In den weitläufigen Hallen des ehemaligen Rheinbahn-Depots im Ortsteil Bilk herrscht ein geordnetes Chaos: überall Farbtöpfe, Spritzpistolen, Gestelle, weiße Drahtkörper, denen noch der Anstrich fehlt.

Jacques Tilly schaltet die Wärme-Anlage für den Knochenleim ein. "Wir 'kaschieren' damit Schicht für Schicht und bilden zusammen mit dem Papier die Oberflächen. Wir 'bildhauen' Luft." Die Figuren seien "so 'was von hohl - genauso wie die Politiker". Der Mann im roten Overall, seinem Markenzeichen, genießt die Pointe und grinst süffisant. Er greift zur Gartenschere. "Mit der schneiden wir uns den Maschendraht passend." Das feinmaschige Netz lässt sich mühelos verformen, verleiht den Plastiken ihre Rundungen und ihre Gestalt. Die Rollenlängen des verbauten Maschendrahts summieren sich für einen Rosenmontagszug auf "gut fünf Kilometer".

Etwa die Hälfte der 60 Karnevalswagen in Düsseldorf prägt die Handschrift von Jacques Tilly. Gemeinsam mit fünf freien Mitarbeitern baut er auch den größten Teil davon selbst. Schon im Sommer entstehen die ersten Dekorationen - im Auftrag von Gesellschaften oder vom Festkomitee. Ab Oktober dominieren im Atelier nur noch närrische Motive.

Seit der Session 1983/84 bereichert der satirische Gestalter den Zug in der Landeshauptstadt. "Kurz nach dem Abitur habe ich damals den Kohl als Birne und Strauß mit einem Messer in der Hand die Aufforderung in den Mund gelegt: Esst mehr Obst!", erinnert sich Jacques Tilly schmunzelnd an die Anfänge. Während des Studiums in Essen widmete er sich später "immer das halbe Semester dem Karneval". Sein Hochschulabschluss als diplomierter Kommunikationsdesigner genießt bei ihm einen ganz speziellen Stellenwert: "Das ist ein wunderbarer Baukasten. Da zimmert man sich seinen eigenen Beruf daraus." Vor sieben Jahren endete diese private Festlegung. "Die Getaltung von Figuren bedeutet Vergnügen für mich, Kommunikationsdesign mit der Entwicklung von Konzepten war immer schwere Arbeit." Folgerichtig näherte sich die inhaltliche Ausrichtung der Tätigkeit den klaren Vorlieben an. Ich habe mich bewusst dazu entschieden, nicht Künstler zu sein", unterstreicht Jacques Tilly. "Meine Figuren sind alle für 'ex und hopp' gedacht. Diese Leichtigkeit und die Lebendigkeit, die liebe ich."

Der Kundenkreis des Designers beschränkt sich längst nicht mehr auf die Jecken-Szene, Großplastiken aus dem Bilker Atelier maschierten über die Expo in Hannover, belebten das RWE-Jubiläumsfest oder gratulierten mit den Gesichtern der Jahrundertspieler dem FC Schalke 04 zum Vereinsgeburtstag.

Nach dem Auftritt landen die Figuren in den meisten Fällen in der Schrottpresse. "Schon aus Platzgründen", betont der Düsseldorfer und zeigt Verständnis für die Kurzlebigkeit. "Die stellt man sich ja auch nicht mal so in den Vorgarten." Bevor die Pappkameraden auf Nimmerwiedersehen verschwinden, lichtet Jacques Tilly alle Geschöpfe mit der Fotokamera ab. Den eigenen Anspruch stuft er mit sympathischer Selbstironie bescheiden ein: "Ansehnlich müssen sie immer sein - ansehnlich und natürliche scharf."

Kasten:

Entwicklungshilfe in der Schnellbau-Technik

"Wie machen Sie das? Wird das mit Beton ausgegossen?" - Jacques Tilly erhält nach der Fernseh-Übertragung des Rosenmontagszuges regelmäßig solche Anfragen. Als Entwicklungshelfer vor allem in der Schnellbau-Technik gibt der Düsseldorfer sein Wissen und seine bewährten Kunstgriffe gerne weiter. In zweitägigen Workshops können Interessenten bei ihm den gesamten Herstellungsprozess lernen - vom Entwurf bis zum letzten Pinselstrich. Die bildhauerische Arbeit mit dem verzinkten Maschendraht sorgt bei den Seminarteilnehmern stets für die größte Verblüffung. Auf Wunsch bietet Jacques Tilly die Fortbildungskurse auch weit entfernt von den närrischen Metropolen an. Im vergangenen Sommer zum Beispiel ließen sich Karnevalisten in Ahlen in die Finessen des professionellen Wagenbaues einweihen. Informationen zu den Workshops liefert auch das Internet unter "www.sculpturepark.de".

Bildunterschriften oben:

Große Tiere reizen Jacques Tilly. Für den Prinzenwagen spannt der Bildhauer indische Elefanten ein. Bei den Farben und Pinseln wählt er aus einem bunten Fundus.
Fotos: Luig

Fotos unten:

Gesichtspflege: Jacques Tilly bereitet ein noch blasses Oberhaupt auf sein Debüt vor.

Ein Holzgestell und gebogener Draht geben jeder Figur Ausdruckskraft.