Pressespiegel2004WZ, 14.2.2004

Was darf der jecke Wagenbauer wagen?

Westdeutsche Zeitung, 14.2.04, von Dieter Sieckmeyer

Die Lizenz zur Narrenfreiheit kam vom Oberbürgermeister persönlich

Was ist lustig, wo ist auch für den Narren die Grenze des guten Geschmacks überschritten? Für die Düsseldorfer Wagenbauer ist das oft ein Tanz auf dem Drahtseil.

Nach dem Streit um den "Bergischen Löwen" in der TV-Fernsehsitzung vor einer Woche wurde das Thema heiß diskutiert: Wie weit darf ein Büttenredner gehen? Jürgen Hilger-Höltgen setzte sich am Ende durch, seine Passage zur Steueraffäre von Oberbürgermeister Joachim Erwin wird am Karnevalsdienstag im WDR-Fernsehen über den Sender gehen. Die Künstler, die in der Halle am Steinberg seit Monaten an den Rosenmontagswagen arbeiten, kennen das Problem schon lange. So manch origineller Entwurf kam über die Zeichnung nicht hinaus. Fühlen sich die Wagenbauer durch die neue Diskussion unter Druck gesetzt?

Künstler leben in ihrer eigenen Welt

"Wir in der Halle bekommen vieles gar nicht mit. Das ist ein bisschen wie eine eigene Welt", sagt Jacques Tilly, der zu den renommiertesten Künstlern seiner Art in Deutschland zählt. Fotos seiner Themenwagen mit George Bush, Saddam Hussein und Angela Merkel gingen im vergangenen Jahr durch Gazetten in der ganzen Welt. Gibt es so etwas wie eine Zensur beim Wagenbau? "Nein. Im Gegenteil. Wir sind sogar vom Carnevals Comitee aufgefordert worden, besonders 'scharfe' Wagen zu bauen", sagt Tilly, "daran hat sich auch in diesem Jahr nichts geändert". Das heißt allerdings nicht, dass jeder Entwurf auch realisiert wird. Denn vorher muss die Zeichnung vom Vorstand des Carnevals Comitees abgesegnet sein. Und wann wird ein Wagen abgelehnt? "Die Grenze ist erreicht, wenn es um persönliche Beleidigungen geht", sagt CC-Präsident Günther Pagalies. So wie bei Marlies Smeets, die nach der letzten Kommunalwahl als "Stichwahl"-Opfer über die Kö rollen sollte. Tilly: "Sie hat mich damals persönlich angerufen und sich beschwert". Auch die SPD-Fraktion protestierte gegen den Entwurf, der daraufhin zurückgezogen wurde. Tilly: "Nach der Wahl kam Joachim Erwin in die Wagenbauhalle und hat uns gesagt, wir sollten ruhig draufhauen. Politiker müssen das vertragen können." Ob auch ein Wagen zu der Luxemburger Steueraffäre des OB's mit Geldsäcken eine Chance hätte? Tilly: "Zu dem Thema fällt mir im Moment nichts ein. Außerdem haben wir nur zwei Mottowagen mit lokalen Themen im Zug."

Der Smeets-Wagen war nicht erste Wagen, der nie fuhr. Besonders heikel wird es, wenn Moral und Religion ins Spiel kommen. Wie in der Session 1994/95, als zwischen Köln und Düsseldorf der legendäre "Busenstreit" ausbrach. Das Festkomitee der Domstadt hat damals den unzüchtigen Darbietungen im Karneval den Kampf angesagt. Die Düsseldorfer Wagenbauer wollten zu dem Thema einen riesigen blanken Busen im Zoch mitfahren lassen. Nach langen Diskussionen durch eine entschärfte Version an den Start gehen. Während der "Busenkrieg" heute als Anekdote vermerkt wird, ging es ein Jahr später weniger lustig zu. Der gekreuzigte Narr zum Thema Kruzifix in Schulzimmern erhitzte die Gemüter. Die Kirche empörte sich, Sponsoren drohten damit, sich zurückzuziehen. Für Hermann Schmitz war es damals die letzte Session als Rosenmontagszugleiter, denn der Wagen fuhr - entgegen der CC-Anweisung - abgedeckt als letztes Gefährt im Zoch mit. "Wir Künstler haben uns noch nie unter Druck setzen lassen. Damals nicht und heute auch nicht", sagt Schmitz, der seitdem als normaler Wagenbauer in der Halle werkelt. Wie durch Zufall wurde ein paar Wochen nach Rosenmontag bekannt, dass der katholische Kirchenfürst, der sich am lautesten über den Entwurf empört hatte, Vater eines Kindes war. Sein Abschied aus Düsseldorf.

Pagalies: Alle Wagen hätten fahren können

Nachdem jahrelang über die Mottowagen diskutiert wurde, traf das CC die Entscheidung, alle politischen Wagen bis Rosenmontag unter Verschluss zu halten. Pagalies: "Ich glaube, dass alle Wagen gefahren wären, wenn wir die Regelung schon früher eingeführt hätten." Bis nach Rosenmontag die Beschwerden kommen, sind die Jecken über alle Berge. Denn wenn in Düsseldorf der Karneval vorbei ist, schweben die Narren in Richtung Teneriffa davon. Nach dem Erholungsurlaub sichtet Pagalies die Post: "Zu dem Merkel-Wagen haben wir körbeweise Briefe bekommen. Die konnten wir nicht alle beantworten." Ganz ohne Kontrolle geht aber doch kein Wagen an den Start. Mit einem heiklen Entwurf geht der CC-Präsident am Sonntag zum Rechtsanwalt: "Da geht es um eine Person aus den USA. Und die klagen ja so gern."