Pressespiegel2004Deutschlandfunk, 5.2.2004

Karneval und Karikatur. Die Kunst des Jacques Tilly im Düsseldorfer Karneval.

Deutschlandfunk, 5.2.2004, Sendung: "Corso-Gespräch", 15:30 Uhr bis 16:00 Uhr

Deutschlandfunk:

"Karneval, Kultur und Kunst, die Schnittmenge hat Jacques Tilly jedenfalls fest im Blick. Der Bildhauer und Kommunikationsdesigner baut die Wagen für den Karnevalszug in Düsseldorf. Der Zug der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt erfreut sich dank des Design, dank der Plastiken, der Skulpturen von Tilly, seit Jahren einer besonderen Aufmerksamkeit. Jacques Tilly, wie sind Sie als Künstler denn zum Karneval gekommen, oder wie hat der Karneval Sie entdeckt?"

Tilly:
"Wie das immer so ist, es war ein reiner Zufall. Als ich 20 Jahre alt war, hat mich ein Freund gefragt, hör mal, willst Du nicht mal helfen, das liegt Dir doch. Da bin ich halt hingegangen und habe ein bisschen ausgeholfen. Das lief dann die nächsten Jahre weiter, auch während ich das Fach Kommunikationsdesign studiert habe. Aber dass ich da jetzt mit 40 immer noch hänge, das hätte ich natürlich nicht gedacht."

Deutschlandfunk:
"Mit Ihren Wagenmotiven haben Sie in der Vergangenheit immer mal wieder für Gesprächsstoff, ja für Skandale gesorgt. Welcher ist Ihnen denn unbedingt in Erinnerung geblieben? Oder anders gefragt, oder welcher ist Ihnen der liebste Skandal?"

Tilly:
"Ja der liebste und böseste zugleich war der Kruzifix-Skandal aus dem Jahr 1996. Es ging um das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, ob nun in den bayerischen Schulen die Kruzifixe abgenommen werden müssen oder nicht. Die Bayern haben damals den Aufstand geprobt, jedenfalls die katholischen Fundamentalisten in Bayern. Das haben wir natürlich satirisch aufgespießt. Dann kam eine Lawine in Gang, das war wirklich schon existenzbedrohend, nicht nur für mich, sondern eben auch für den Düsseldorfer Karneval als solches."

Deutschlandfunk:
"Was haben Sie da gemacht?"

Tilly:
"Wir haben Narren ans Kreuz gehängt und haben auf den Wagen geschrieben 'Karneval in Bayern'. Damit wollten wir zeigen, dass Bayern dabei ist, sich in einen fundamentalistischen Gottesstaat zu verwandeln. Wir haben das Ganze halt ein bisschen auf die Schippe genommen. Aber wir haben nun mal für diese satirische Botschaft das Kreuz benutzt, das zentrale Macht- und Glaubenssymbol. Und das ging vielen über die Hutschnur."

Deutschlandfunk:
"Sie als Wagenbauer arbeiten eng zusammen mit dem Düsseldorfer Festkomitee. Hat Ihnen von denen, um an diesem Beispiel mal zu bleiben, keiner gesagt, Moment mal, das geht uns so nicht auf die Straße. Stichwort Zensur, oder ein wohlmeinender Ratschlag. Ist der gekommen?"

Tilly:
"Die Düsseldorfer Karnevalsfunktionäre lieben eigentlich scharfe Wagen. Wir Düsseldorfer sind dafür bekannt, dass wir beim Wagenbau wirklich kein Blatt vor den Mund nehmen. Und dass wir nicht einfach nur weichgespülte Themen aufgreifen, wie etwa die Gesundheitsreform, die Rentenreform und dergleichen. Wir hauen halt, um es mal drastisch auszudrücken, einmal im Jahr richtig auf die Kacke. Und dieser Wagen war auch voll in diesem Sinne. Wir schrecken halt nicht vor irgendwelchen Tabugrenzen zurück, sondern greifen auch wirklich die Themen auf, die normalerweise nicht so karnevalskompatibel sind. Wie eben Religion oder auch Krieg und ähnliches."

Deutschlandfunk:
"Die scharfe Karikatur als Skulptur..."

Tilly:
"Genau, denn das ist das, was die Leute beschäftigt, das ist Ausdruck des Zeitgeistes. Wir in Düsseldorf können das glücklicherweise so machen, und das sehe nicht nur ich so, sondern eben auch das Düsseldorfer Karnevalskomitee. Deshalb habe von dieser Seite aus immer ordentlich Rückenwind bekommen. Aber: Die mussten natürlich auch, während der Kruzifix-Skandal rollte und die Protestwelle lief, irgendwann tatsächlich die Notbremse ziehen. Der Wagen wurde dann aus dem Verkehr gezogen."

Deutschlandfunk:
"Wie wird das denn dieses Jahr aussehen, auf welchen Skandal stellen Sie sich denn ein?"

Tilly:
"Wir haben schon so viele Skandale gehabt, und alle zwei Jahre ging irgendeine Bombe hoch, manchmal unvorhersehbar. Irgendeiner regt sich halt immer auf, oder erwirkt eine einstweilige Verfügung oder droht mit Klage oder was auch immer. Also die Kirche hat beispielsweise tatsächlich versucht, dem Karneval die Sponsoren abspenstig zu machen, sprich uns den Finanzhahn zuzudrehen. Das ging also wirklich an die Substanz. Seitdem sind die politischen Wagen geheim, und deshalb kann ich jetzt hier nicht verraten, was wir machen werden. Aber es wird schon sehr scharf werden, auch dieses Jahr."

Deutschlandfunk:
"Es bleibt erst mal ein Geheimnis. Inwieweit ist Ihnen der Karneval denn mittlerweile zu bieder und zu brav? Sie provozieren mit Ihren Motiven ja auch deshalb. Mal Schröder als Domina, und Merz mit Merkel nackt in der Badewanne als Loriotmännchen..."

Tilly:
"Ich möchte die Leute am Straßenrand unterhalten. Es soll sich schon ein gewisser Überraschungseffekt einstellen. Ich wünsche mir schon, dass Leute extra zum Düsseldorfer Rosenmontagszug kommen, weil sie wissen, dort werden wir halt prächtig unterhalten, dort sehen wir etwas, was wir vielleicht in anderen Karnevalshochburgen in dieser drastischen Schärfe nicht sehen."

Deutschlandfunk:
"Ist das denn mittlerweile so? Das müssten Sie doch jetzt festgestellt haben, im Laufe der Jahre."

Tilly:
"Na ja, ich habe mit den Karnevalisten eigentlich wenig zu tun, ich komme aus meiner Wagenbauhalle kaum raus. Rosenmontag sehe ich zum ersten Mal wieder Sonnenlicht. Die Arbeitszeit ist also sehr, sehr intensiv. Deshalb bekomme ich selten mit, was jetzt so vor Rosenmontag in den Köpfen der Leute los ist."

Deutschlandfunk:
"Kann man das so sagen, Jacques Tilly, der bekannte Wagenbauer ist selbst kein Karnevalist?"

Tilly:
"Ja notgedrungen. Ich bin immer am arbeiten, und ich gehe niemals zu den Karnevalssitzungen. Und zwar nicht, weil ich das nicht mag, sondern einfach aus Zeitgründen. Das Pensum ist einfach so unglaublich groß. Im Lauf der Jahre wurde es immer mehr, und man könnte sagen, seit ich dort baue, baue ich jedes Jahr ein bisschen mehr. Mein Quantum steigt und steigt, ich habe einfach nicht die Zeit, am offiziellen Karneval als Karnevalist so richtig teilzunehmen."

Deutschlandfunk:
"Wann fangen Sie eigentlich an im Jahr zuvor? Am 11.11. beginnt normalerweise die Session, aber wann beginnt Jacques Tilly mit dem Bau der Wagen? Im November?"

Tilly:
"Die Entwürfe für die Gesellschaftswagen mache ich manchmal schon im Sommer. Denn da gibt es immer so ein paar ganz besonders eilige Vereine, die anrufen und sagen, 'he, wir haben noch keinen Entwurf', und ich sag, 'Mensch, wir haben doch erst August'. Es wird dann im frühen Herbst schon geplant, was gebaut wird. Aber die politischen Wagen bauen wir erst unmittelbar vor Rosenmontag, also wirklich zwei Wochen vorher, weil wir natürlich, wenn irgendetwas Besonderes passiert, nicht irgendwelche Wagen aus dem Verkehr ziehen wollen."

Deutschlandfunk:
"Um so aktuell wie möglich zu sein."

Deutschlandfunk:
"Natürlich. Wir haben in Düsseldorf eine sogenannte Leichtbauweise, eine Schnellbauweise, und mit der können wir innerhalb von wenigen Tagen einen Wagen bauen. Wenn also mal eben schnell was passiert, was weiß ich, wenn etwa Angela Merkel beim Sex im Oval Office des Weißen Hauses erwischt wird, oder so etwas, dann wird das natürlich aufgegriffen. Und wenn es sein muss auch drei Tage vor Rosenmontag."

Deutschlandfunk:
"Oder Herr Gerster tritt zurück, bzw. wird zurückgetreten."

Tilly:
"Auch das ist im Moment im Gespräch, ob wir dazu was machen."

Deutschlandfunk:
"Er will es nicht verraten."

Tilly:
"Ich darf es nicht verraten."

Deutschlandfunk:
"Welche Wagen von Ihnen durften denn in der Vergangenheit bislang nicht auf die Straße? Auch da gab es welche."

Tilly:
"Es gab einige, natürlich. Ich mache immer so um die 20 Entwürfe, davon werden dann vielleicht 10 vom Karnevalskomitee ausgewählt, und die werden dann realisiert. Ich fange dann an zu bauen, und dieser Kruzifixwagen, von dem wir anfangs sprachen, der war schon sehr weit, als dann der Baustopp kam. Der wurde dann tatsächlich auf den Müll geworfen. Dann ist mal ein Wagen auf den Müll geworfen worden, weil dort zu viele Genitalien herumhingen, nackte Männer waren das, und ich wollte die halt nicht in verstümmelter Form darstellen. Und dann ist mal ein Wagen nicht gefahren, da ging es um das Thema Stichwahl in Düsseldorf. Die beiden Oberbürgermeisterkandidaten standen sich in einer Stichwahl gegenüber. Die Frau Smeets von der SPD hat dann verloren. Die habe ich dann dargestellt mit einem Messer im Bauch, in der Stichwahl erstochen."

Deutschlandfunk:
"Drastisch!"

Tilly:
"Viel zu drastisch, und der Wagen durfte dann auch nicht fahren. Sie hatte dann persönlich angerufen in der Wagenbauhalle und hat sich beschwert. Da sie aber ansonsten eine sehr gute Karnevalistin war, hat das Karnevalskomitee 'stopp' gesagt."

Deutschlandfunk:
"Warum ist das für Sie als Künstler ja überhaupt reizvoll, für den Karneval zu arbeiten?"

Deutschlandfunk:
"Man hat natürlich eine sehr große Öffentlichkeit. Also wenn man alleine in seinem Atelier sitzt und da seine Ölfarben hat oder seinen Holzblock bearbeitet, dann sieht man alle paar Monate mal in einer kleinen Ausstellung das Licht der Öffentlichkeit. Im Karneval schauen halt Millionen Menschen zu, das ist natürlich schon ein ganz anderer Maßstab. Das macht also dann sehr großen Spaß, wenn die Wagen dann auch wirklich aufgenommen werden, wenn sie kontrovers diskutiert werden, wenn die Medien sich drauf stürzen. Und wenn eben ab und zu irgendwelche Skandale daraus entstehen, dann ist das schon eine wunderbare Sache."

Deutschlandfunk:
"Ist diese Skulpturenkunst von Jacques Tilly, von Ihnen, von Ihrer Werkstatt denn dadurch auch gefragter geworden? Gab es da Nachfragen im sogenannten "Sculpture Park", so nennt sich das ja in Düsseldorf?"

Tilly:
"Ja, die Nachfrage nach Figuren außerhalb des Karnevals war sehr stark. Es haben sich Eventagenturen gemeldet, es haben sich Messebaufirmen gemeldet, es haben sich die großen deutschen Firmen gemeldet, die irgendwelche Veranstaltungen hatten. Die haben halt gefragt: 'Ihr baut doch so große Figuren, baut uns doch auch mal etwas für den und den Zweck.' Auf der Expo 2000 in Hannover haben wir für Siemens eine ganze Parade gebaut. Und als das neue Schalke-Stadion eröffnet wurde, habe ich elf Großköpfe, die elf besten Spieler, die Schalke je hatte, als Großkarikaturen über das Spielfeld laufen lassen. Also da ist schon ein symbiotischer Zusammenhang. Der Karneval hat mir also schon ordentlich dabei geholfen, inzwischen das ganze Jahr mit Figurenbau beschäftigt sein zu können."

Deutschlandfunk:
"Was genau ist der Sculpture Park, wer arbeitet da mit, wie dürfen wir uns das vorstellen?"

Tilly:
"Das ist eine kleine Künstlergruppe, die ich anleite, und die hat das ganze Jahr zu tun. Die Gruppe besteht aus freien Mitarbeitern, aus Kollegen, die ich gut kenne. Der eine malt halt sehr gut, meine Frau zum Beispiel kann sehr gut malen, die bemalt halt die Figuren, und sogar mein Vater hilft dort mit. Es sind aber dort auch befreundete Künstler jeder Richtung tätig. Wenn zum Beispiel eine Holzplastik angefragt ist, dann kenne ich halt Leute, die das machen. Der Sculpture Park ist also ist so eine Art freies Netzwerk."

Deutschlandfunk:
"In allen Maßstäben bekommt man die Skulpturen, wetterfest?"

Tilly:
"Das kann man so sagen, ja. Obwohl unsere Spezialität tatsächlich schon die Großplastik in der Leichtbauweise ist."

Deutschlandfunk:
"Im Karneval immer zu sehen. Wo werden Sie denn in diesem Jahr den Karnevalszug in Düsseldorf erleben?"

Tilly:
"Es hat sich so eingespielt, daß wir bis morgens früh kurz vor Rosenmontag an den Wagen bauen, manchmal bis fünf Uhr morgens. Und es ist auch schon vorgekommen dass die Karnevalswagen nass auf die Straßen gefahren sind, die Farbe war also noch nicht einmal angetrocknet. Wenn es da geregnet hätte, wären die Wagen schnell weiß gewesen. Ich bin also Rosenmontag schon sehr, sehr übermüdet, schlafe also erst mal aus. Aber dann gehe ich dann tatsächlich zum Zug, kurz bevor er losgeht, und fotografiere dann die Wagen, ich dokumentiere den Zug. Ich gehe also nicht verkleidet dort hin und stürze mich ins Getümmel. Leider."

Deutschlandfunk:
"Zum Schluss noch in einem Satz: Was sollten die Wagenbauerkollegen in anderen Karnevalshochburgen, Mainz, Köln und anderen Städten beachten? Ihr Tipp, Ihr Rat?

Tilly:
"Ich denke schon, dass man dort ein bisschen drastischer werden kann. Dass man sich nicht selbst die Zähne zieht, sondern dass man die Themen schon in der Härte aufgreift, in der man sie aufgreifen sollte."

Deutschlandfunk:
"Danke schön, Jacques Tilly. Wir sprachen mit dem Bildhauer und Kommunikationsdesigner. Jacques Tilly ist verantwortlich für die Plastiken und Skulpturen im Düsseldorfer Karneval. Kunst meets Karneval - wenn man so will."