Pressespiegel2004NRZ, 20.1.2004

Einfach mal die Sau rauslassen

Neue Rhein Zeitung, 20.1.04

Karneval / Jacques Tilly feilt schon an den Mottowagen. Innerhalb von 24 Stunden alles neu. Das wollen auch die Kölner.

Der Kopf von Angela Merkel schaut aus dem Allerwertesten von Uncle Sam. Saddam Hussein und George Bush kuscheln gemeinsam im Ehebett. Diese Bilder zierten bundesweit Titelblätter der Tageszeitungen. Die Mottowagen-Kreationen von Jacques Tilly sorgten 2003 für reichlich Diskussionsstoff. Jetzt feilt der künstlerische Leiter des Comitee Düsseldorfer Carneval (CC) mit seinem Team an neuen Ideen für den "Zoch" am 23. Februar und unterstützt die Vereine beim Bau ihrer rund 60 Motivwagen. Mittlerweise erteilt er sogar den Kölnern Nachhilfe im Konstruieren närrischer Vehikel, verrät Tilly im NRZ-Gespräch.

NRZ: Waren Sie überrascht über die große Resonanz auf dem letzten Rosenmontagszug?

Tilly: Es hat mich vor allem verblüfft, dass die Reaktionen durchweg positiv waren. Das zeigt uns, dass es richtig ist, heikle Themen anzupacken und sie bis zur Schmerzgrenze zu überspitzen.

NRZ: Das CC wacht ansonsten streng über die karnevalistischen Aktivitäten in Düsseldorf. Wirkt diese Art betreuter Kreativität auf Sie als Spaßbremse?

Tilly: Absolut nicht. Vor allem Jürgen Rieck stachelt mich immer wieder an, besonders freche Wagen zu bauen. In dieser Hinsicht genießen wir alle Freiheiten. Und die Idee des Karnevals ist es ja, den Obrigkeiten den Spiegel vorzuhalten. Das funktioniert mit derben Darstellungen am besten. Und Rosenmontag ist der Tag, an dem man einfach mal die Sau rauslassen muss.

NRZ: Welches ist ihr Lieblings-Thema?

Tilly: Ich setze mich gerne kritisch mit der Kirche auseinander. Nach dem Kruzifix-Urteil habe ich einen Wagen gebaut mit bayerischen Narren, die ans Kreuz genagelt waren. Das hat heftig für Furore gesorgt.

NRZ: Spießen Sie diesmal vor allem die Gesundheits- und geplante Steuerreform auf?

Tilly: Das liegt natürlich auf der Hand. Doch verraten wird nichts. Das steigert die Spannung. Nur so viel: Es gibt auch Düsseldorfer Themen auf den acht bis elf Mottowagen, für die ich gerade die ersten Entwürfe zeichne.

NRZ: Worin besteht das Geheimnis, dass die Düsseldorfer Wagen immer wieder Bestnoten bekommen?

Tilly: Neben den Ideen ist die Schnelligkeit entscheidend. Wir haben unsere Fingerfertigkeit soweit perfektioniert, dass wir binnen 24 Stunden einen Wagen bauen können. Also reagieren wir sehr schnell auf aktuelle politische Entwicklungen.

NRZ: Was die Kölner Kollegen nicht schaffen...

Tilly: Weil sie viele Wagen schon im Oktober bauen. Und wenn man thematisch keine heißen Eisen anfasst, besteht leicht die Gefahr, dass man langweiligen Einheitsbrei abliefert. Im Kölner Zug fahren außerdem zum Teil 40 Jahre alte Wagen mit. Zwar gibt es auch bei uns einige Vereine, die sparen müssen, und deshalb das Grundgerüst des letztjährigen Wagens verwenden. Doch diese werden komplett neu gestaltet und sind nicht wieder zu erkennen. Garantiert.

NRZ: Jetzt greifen Sie den Narren in der Domstadt unter die Arme?

Tilly: Zumindest habe ich auf der Kölner Karnevalsmesse Kurse gegeben, wie man Dachlatten, Draht, Papier und Leim Kreatives vollbringen kann. Außerdem durfte ich für ein Karnevals-Kaufhaus einen drei Meter hohen Pinguin mit Narrenkappe konstruieren, der jetzt als Werbefigur durch die Kölner Einkaufsstraßen watschelt.

NRZ: Sie sind kein Freund des Sitzungskarnevals. Worüber lachen Sie?

Tilly: Der Humor von Helge Schneider - ist es überhaupt Humor - bleibt für mich unwiderstehlich. Auch über Jürgen Becker kann ich herzhaft lachen.

Das Gespräch führte Rüdiger Hoff.


Bildtext: CDU-Chefin Angela Merkel dient dem künstlerischen Leiter des CC, Jacques Tilly, immer wieder als Motiv. Ihm gelingt das so gut, dass die Düsseldorfer Mottowagen bundesweit für Furore sorgen und regelmäßig im Blätterwald auf den Titelseiten landen. (Foto. Kai Kitschenberg)


Kasten: Künstlergruppe Sculpture Park.

Wagenbau für jedermann

Der Designer und Bildhauer Jacques Tilly ist gebürtiger Düsseldorfer. Mit seiner Lebensgefährtin Ricarda und den Söhnen Camillo und Valentin (drei und fünf Jahre) wohnt er an der Ackerstraße. Außerhalb der fünften Jahreszeit ist der 40-jährige für die von ihm gegründete Künstlergruppe Sculpture Park tätig. Das Team gestaltet Plastiken für Filme, Messen, Veranstaltungen und Firmen. Ab Oktober 2004 bietet Jacques Tilly in der Halle an der Merowinger Straße Wagenbau-Kurse für jedermann an. Informationen dazu sind im Internet zu finden unter: www.wagenbau.de (Fehlangabe).