Geschmackvolle Satire gibt's nicht
Rheinische Post, 8.2.2000, von Alexandra Ressing
Kommunikations-Designer Jacques Tilly über Freud' und Leid eines Mottowagen-Baumeisters
Der schlanke Mann mit den dunklen Locken lacht sympathisch. Der sieht gar nicht so aus, als ob er grob und unsensibel die Gefühle anderer verletzen wollte. "Wollte ich auch nicht", sagt Mottowagen-Baumeister Jacques Tilly, und schaut dabei etwas zerknirscht aus der Wäsche. Die "erdolchte Marlies" aus Maschendraht und Pappmaché - Symbol für den politischen Tod der SPD-geführten Regierung in Düsseldorf - hat böses Blut verursacht. Gestern nachmittag saß Tilly in seinem Büro in der Wagenbauhalle und zeichnete eine veränderte Version des "Stichwahl"-Wagens. Eigentlich stehe er immer zu seinen Entwürfen, sagt der gebürtige Oberkassler. Ein Telefonat mit der ehemaligen Oberbürgermeisterin hat ihn schließlich klein beigeben lassen. Wenngleich der studierte Kommunikationsdesigner immer noch meint: "Eine Satire braucht Bilder und ist selten geschmackvoll" Eine geschmackvolle Satire sei sozusagen ein Widerspruch in sich. Damals, beim "Kruzifix"-Wagen, seien ihm die Anfeindungen an die Nieren gegangen. "Briefe habe ich bekommen, in denen stand, ich sei verdammt und man müßte für meine Seele beten", erzählt der junge Vater.
Seit Jahren entwirft und baut der 36-Jährige im Auftrag des Carnevals-Comitees Motto-Wagen für den Düsseldorfer Zug. "In dieser Session haben uns die Ereignisse ziemlich überholt", meint er. "Es gibt derzeit in der Politik einen Skandal nach dem anderen auf der Bundesebene. Da haben die Leute von den Wagen-Entwürfen besonders viel erwartet. Jetzt sind sie enttäuscht". Die Wagen seien diesmal langweilig, mußte sich der Kreative von vielen Seiten anhören. Abgabetermin für die rund 30 gezeichneten Vorschläge sei allerdings schon im Oktober vergangenen Jahres gewesen, erklärt Tilly. Dann habe eine Jury geheim eine Auswahl von zehn Wagen getroffen.
In seinem Erwin-Entwurf (der OB als Jan-Wellem-Verschnitt, der seine "zweite Familie" grüßt konnte Tilly deshalb nur auf den Wahlkampf des CDU-Mannes abheben: "Den fand ich ziemlich peinlich". Drei Wochen nachdem Tilly Erwin ein Pferdegebiß gezeichnet hatte, ließ das Stadtoberhaupt seine Zähne richten. Ein Wittmann-Wagenentwurf liegt inzwischen zerknüllt im Papierkorb: Der Polizeipräsident wurde beurlaubt. Künsterpech?!
Mehr oder weniger, denn Tilly betrachtet sich nicht als Künstler. "Kunst ist die Sache einer autonomen Seele und ist nicht an Weisungen gebunden", sagt der Mann im Arbeits-Overall. Er hingegen habe in seinem ganzen Leben noch nichts getan "ohne einen klaren Kommunikationsauftrag" zu haben. Kunst oder nicht - an den Figuren arbeitet Tilly jedes Jahr aufs neue mit Hingabe und Begeisterung. Mit Freundin Ricarda und Söhnchen Camillo (anderthalb) wohnt er in der Session regelrecht zwischen Maschendraht, Kleister, Farben und Holzlatten. Bis Rosenmontag: "Dann räum ich auf und geh!"
Bildunterschrift: Verbringt Monate zwischen Holzlatten, Maschendraht und Farben - und baut Figuren, die er selbst entworfen hat: Jacques Tilly.