"Wir müssen die Schmerzgrenze mal wieder etwas erhöhen"
Mein Rheinland, Februar 2014
Jacques Tilly entwirft seit exakt 30 Jahren Motiv-Wagen für den Rosenmontagszug in Düsseldorf. Er studierte an der Universität Essen Kommunikationsdesign und half bereits als Student beim Wagenbau in Düsseldorf. Nachdem Hermann Schmitz Mitte der 90er Jahre die Zugleitung übernahm, machte Tilly seinen Studentenjob zum Beruf.
Wie wird der Karneval 2014 im Rheinland?
Jacques Tilly: Also, der Rosenmontagszug in Düsseldorf wird auf jeden Fall frecher als in den letzten beiden Jahren. Das war zu zahm. Wir müssen die Schmerzgrenze mal wieder etwas erhöhen. Die gepfefferte Satire ist ein Markenzeichen des Düsseldorfer Karnevals. In Köln und Mainz ist das alles etwas braver. Ich gebe mal ein Beispiel: Um die Guttenberg-Affäre darzustellen, bauten die Kölner 2011 einen Wagen, auf dem der Ex-Verteidigungsminister mit einem Kopierer gezeigt wurde, neben dem ein Schild stand: „Kopieren statt studieren". Bei uns in Düsseldorf fuhr ein Wagen unter dem Motto „Merkels 11. September" und zeigte Guttenberg als Flugzeugführer, der mit seiner Maschine ins Kanzleramt kracht.
Wieso ist der Karneval gerade in Düsseldorf so keck?
Die Entwürfe für die Motivwagen des Comitee Düsseldorfer Carneval e.V. bekommen vorab nur drei Personen zu sehen: unser Präsident Josef Hinkel, unser Geschäftsführer Christoph Joußen und Rosenmontagszugleiter Hermann Schmitz - und diese Herren sind mutig und angstfrei. In Köln fährt der Zug im Schatten des Kölner Doms, da würde sich beispielsweise niemand an das Thema "Religion" trauen - das steht da unter Naturschutz". Dort werden eher harmlose Dinge auf die Schippe genommen.
Glauben Sie, dass die Kölner und Mainzer Wagenbauer Sie um Ihre kreative Freiheit beneiden?
Ich kann es mir gut vorstellen. Ich bin sehr dankbar, dass die Düsseldorfer kein Blatt vor den Mund nehmen. Wenn das anders wäre, würde ich den Job nicht mehr machen. Dann würde ich nur noch Gesellschaftswagen für Karnevalsvereine und Werbewagen für Firmen bauen.
Gibt es im Karneval ein Tabu-Thema?
Für mich ist klar, dass wir niemals Opfer vorführen werden, also beispielsweise einen Wagen zur Love-Parade konzipieren oder Wolfgang Schäuble im Rollstuhl.
Haben Sie eine Art „Lieblingsmotiv"?
Es gibt keinen Rosenmontagszug ohne den Kanzler bzw. die Kanzlerin. Das kann aber auch nervig sein.
Woher bekommen Sie Ihre Ideen?
Ich versuche aufzugreifen, was die Massen bewegt. Themen, die in der Luft liegen. Das müssen nicht unbedingt Dinge sein, die mich persönlich beschäftigen. Grundsätzlich ist es wichtig, dass die Zuschauer in zwei Sekunden erkennen, was gemeint ist. Hier gilt: Weniger ist mehr. Komplexe Themen auf eine einfache Bildformel zu reduzieren, ist gar nicht so einfach. Ich feile so lange an den Motiven, bis die Pointe klar herausgestellt ist. Manchmal brauche ich dann für ein Motiv fünf Minuten, manchmal drei Tage. Das ist ganz unterschiedlich. Gelegentlich bekomme ich meine Entwürfe auch zurück, weil sie dem Vorstand zu harmlos sind. Da kommen dann Kommentare wie: Karneval ist doch kein Kindergarten!
Wie viele Wagen bauen Sie und Ihr Team pro Session?
Für das Comitee Düsseldorfer Carneval sind es circa zehn bis zwölf Motivwagen, dazu kommen noch Dutzende von Gesellschaftswagen und Werbewagen für Firmen, die wir auch für die Züge in Aachen, Mönchengladbach und Krefeld fertigstellen. Der Düsseldorfer Rosenmontagszug wird immer sehr für seine Tagesaktualität gelobt. Das liegt daran, dass wir unsere Wagen teilweise noch einen Tag vor Rosenmontag umbauen. Wenn Karnevalsfreitag oder -samstag noch eine richtige Bombe platzt, haben wir es bisher immer geschafft, das Thema noch aufzugreifen. In Köln beispielsweise ist das nur schwer möglich, da die Wagenbauer ihre Motive bereits eine Woche vor Rosenmontag der Öffentlichkeit präsentieren.
Wer sind Ihre größten Kritiker?
Kardinal Meisner zum Beispiel. Der hat mich sogar einmal in seinem Hirtenbrief erwähnt, als wir einen Wagen gebaut haben, der Papst Benedikt mit dem Ex-Bischof der Piusbrüder, Richard Williamson, zeigte. Da fühlte ich mich sehr geehrt. Auch die Kölner haben sich über einen Wagen aufgeregt, auf dem der Jungfrau im einstürzenden Köln die Hose platzt und ein blinder Kölner sich an ihrem Hinterteil verbützt. Dabei war der Wagen nur eine Erwiderung auf einen Kölner Wagen, auf dem ein blinder Düsseldorfer die Kölner Jungfrau auf die Hand küsst, da deren Motto „In Kölle gebützt" hieß und man den Düsseldorfern damit unterstellen wollte, dass sie noch nicht einmal wissen, wie man richtig bützt.
Gab's schon mal richtigen Arger?
Ein Anwalt aus Bonn hat mal verfügt, dass wir Helmut Kohl nicht nackt zeigen dürfen. Damals sind wir schnell in einen Baumarkt gefahren und haben ein paar Büsche gekauft, die wir vor den kleinen Helmut gestellt haben. Während der Fahrt sind sie dann bei dem ganzen Gerumpel umgefallen. Was für ein Pech! Das hatte dann aber keine weiteren Konsequenzen.
Und der Motivwagen mit den Heils Angels vom letzten Jahr? Machen Sie sich keine Sorgen, dass die mal hier aufkreuzen?
Sie meinen den Wagen unter dem Motto „Helau Angels! Friede, Freude, Flammkuchen"? Och, da mache ich mir keine Gedanken, die Biker haben Humor, die feiern doch auch Karneval.
Haben Sie selbst schon einmal am Rosenmontagszug teilgenommen?
Ja, ich bin 1987 auf einem Wagen des Vereins Maske 07 mitgefahren. Für Menschen, die narzisstisch veranlagt sind, ist das ein tolles Erlebnis - man wird durch die Stadt gefahren und von allen bejubelt. Ich habe das zusammen mit einem Freund gemacht, und wir hatten viel Spaß. Wir haben sogar Narren über die Reeling auf den Wagen gezogen. Das gilt beim Rosenmontagszug als „Todsünde" und kam gar nicht gut an. Danach hat sich der Verein unter anderem auch wegen dieser Vorfälle aufgelöst. Ich bin nie wieder auf einem Wagen mitgefahren.
Was machen Sie denn dann an Rosenmontag?
Ich fotografiere unsere Wagen für unser Archiv und die Mappe, denn sie werden nach Rosenmontag demontiert. Dazu habe ich eine hohe Leiter und mache Bilder von meinen Motiven. Da ich alle Aufbauten kenne, weiß ich auch, aus welchem bestimmten Winkel ich das beste Foto schießen kann. Wichtig ist ein ruhiger Hintergrund mit ein paar Narren rechts und links.
Und was machen Sie, wenn Karneval vorbei ist?
Wir bauen ja nicht nur Karnevalswagen, wir entwerfen und bauen auch Plastiken für Kulissen und Dekorationen für Events, Messen, Bühnen und Filme. Für „Wetten dass..." haben wir beispielsweise vor zwei Jahren gearbeitet. Außerdem bieten wir auch Workshops an, die mit Teilnehmern aus ganz Europa sehr gut besucht sind. Nach Rosenmontag ruhen mein Team und ich uns erst einmal aus.
Das Gespräch führte Vera Dohmgoergen