Die Masche des Weltmeisters

Neue Rhein Zeitung
PHILIPP WAHL (Text), KAI KITSCHENBERG (Foto)

Die Masche des Weltmeisters

KARNEVAL / Der Wagenbau-Star Jacques Tilly zeigt, wie es geht und verrät: "Meine Technik ist keine Zauberei".

Mike Obst macht 'ne Welle. Eine aus Maschendrahtzaun. Er knickt, knotet, knipst. Dazu ist er in geheimer Mission aus Zell im Wiesental angereist. Sein Auftraggeber: die Vogtei Obertal. Die Fastnachtsnarren haben es satt, dass rosenmontags regelmäßig die Erz-Konkurrenz Preise für den schönsten Mottowagen abräumt. Um dieser Schmach endgültig ein Ende zu setzen, ist Obst (37) nach Bilk gekommen, hat 320 Euro für eine Lehrstunde gezahlt. Denn nicht irgendwer soll ihn in die Handwerkskunst des jecken Wagenbaus einweihen...

Sein Lehrer, überschlagen sich (sogar Kölner) Kritiker, ist "der Immendorff", ja der "Weltmeister der Wagenbauer". Der bekannteste ist Jacques Tilly, 42, auch. Freilich: Seinen anarchischen Spott für die Oberen kann man so wenig lernen wie tolle Einfälle. Dafür aber die Technik, die der gebürtige Düsseldorfer nutzt, um seine Karnevalswagen - 25 werden es Rosenmontag 2006 sein - zu inszenieren. Sie garantiert Illusionen, soll aber kein Geheimnis bleiben. Und so steht die Düsseldorfer Leichtbauweise auf dem Stundenplan der zweitägigen Workshops, zu denen der Bildhauer nur dreimal jährlich in sein Atelier am alten Straßenbahndepot bittet.

Auch aus Regensburg, Nürnberg und der Eifel sind die Schüler, 16 an der Zahl in die Klasse des Meisters gepilgert. Sie knipsen jede Witzfigur, die er vorführt, später im Frontalunterricht pinnen einige Tillys Worte emsig in Schulhefte.

Jeder Jeck baut anders

Und sehet und höret: "Meine Technik ist keine Zauberei", eher Bauplan- und Maßarbeit, die "Missgeburten aus Pappmaschee verhindert" - und garantiert, dass die Vehikel jede Kurve kriegen. Der eigentliche Kniff der Methode aber ist der in die drahtigen Maschen. Auf sie baut Tilly seine Wagen, bringt damit Figuren in organische Form. Und das Händchen dafür will trainiert sein: Um effektvoll knicken zu können, üben die Teilnehmer stundenlang. Doch selbst der "Herr der Maschen" vergreift sich nach 20 Jahren ab und an: Sieht schlimm aus, kölsch geradezu."

Dann zimmern alle Grundgerüste: Pyramiden aus gehobelten Dachlatten, Spannleisten, Schnellschrauben. Das also ist der Hohlköpfe Kern! Umzäunt und mit Blumenpapier kaschiert, entsteht so eine echte Effekthascherei, schneller, schöner und leichter als nach anderen Bauarten. Denn jeder Jeck baut anders, im Wiesental gar massiv: In wochenlanger Schwerstarbeit schweißen sie dort echte Stahlkolosse zusammen. Obst: "Allein das Material kostet 5000 Euro." Tillys Masche wird der Vogtei 4000 Euro, jede Menge Zeit und "den Ladekran" ersparen.

Sogar seine Spezialwerkzeuge und -materialien führt der Profi-Baumeister vor: So darf sich auch Rainer Fuhrmann (44) die Finger mit extra-starkem "Knochenleim" schmutzig machen, der mit allerlei Ingredenzien gemixt wird. Das Erlernte will der Präsident der Holthausener KG "Räbbelche" bis Februar schon eigenhändig umsetzen: Mit Tillys Tricks "traue ich es mir nun zu, unseren neuen Wagen zu bauen."

Den Entwurf liefert den Räbbelche zwar noch Tilly. Aber entzaubert der sich mit der Offenbarung seines exklusiven Wissens nicht geschäftsschädigend selbst? "Alle Wagen sollen schöner werden", sagt er dazu nur. Ein toller Lehrer - und ein echter Narr. Seine Kunst bleibt ohnehin einmalig.

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Tillys Masche, um schöner zu fahren: Der Wagenbauer Jacques Tilly zeigt in Workshops, wie sein "Leichtbauverfahren" Zeit und Geld spart.

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Klebrig kaschiert: Knochenleim hält Witzfiguren zusammen.

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Drahtiger Schüler beim Meisterwerk: Rainer Fuhrmann lernt Knicken.

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Herr der Maschen: Jacques Tilly