ProjekteIllustrationenRadschläger-Skulptur für Moskau 2009Mehr Bilder und Presse

Nackedei im Blumenbeet

Moskauer Deutsche Zeitung, 31.5.2009
Autor: Sophia Wiemer, Foto: Sophia Wiemer

Warum ein Geschenk der Stadt Düsseldorf die Moskauer amüsiert

"Düsseldorf und Moskau können einfach sehr gut miteinander." Auf diese bestechend simple Formel brachte der Düsseldorfer Oberbürgermeister Dirk Elbers unlängst während der Feiern zu 15 Jahren Städtepartnerschaft in Moskau die Beziehungen der beiden Städte. Als Krönung hatte Elbers seinem Amtskollegen Jurij Luschkow für den neu eröffneten "Düsseldorf-Park" im Stadtteil Marjino ein Wahrzeichen der Stadt am Rhein mitgebracht: eine zwei Meter große Rad schlagende Figur. Was geschützt durch einen Blumenwall zunächst diffus als bunte Skulptur wahrgenommen wird, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Mosaik von heiteren, teils aber auch pikanten Karikaturen.

Kleine Geschenke beleben die Freundschaft. Dass die Belebung aber solche Formen annehmen würde, hätte sich Dirk Elbers wohl nicht vorstellen können, als er Jurij Luschkow Ende April in Moskau eine Skulptur mit bunten Karikaturen des Düsseldorfer Künstlers Jacques Tilly überreichte. Was aufgrund ihres Standortes in einem mit Stiefmütterchen bepflanzten Blumenbeetgürtel nicht sofort ersichtlich ist, sollen die Argusaugen der eingeladenen Schüler auf der Eröffnungsveranstaltung umso schneller ausfindig gemacht haben. Mit lautem Kichern wurden die "frivolen Bilder" des "Trojanischen Pferdes" - wie die russische Tageszeitung Komsomolskaja Prawda einen Tag später halb im Scherz, halb im Ernst schrieb - zielgenau identifiziert. Sogar von einem "Kulturschock" war die Rede. Thematisch wird mit den Karikaturen die Düsseldorfer Karnevalskultur aufgegriffen, die sich immerhin als politisch schärfer versteht als der weitaus bekanntere Umzug in Köln. Und so stellt ein nackedeiender Schauspieler die "Sein oder nicht sein"-Frage, eine aufgetakelte, mit Diamanten behangene Blondine fährt rauchend im rosa Cabrio mit dem Kennzeichen "PROTZ 1 000" vor, Altbier schwappt appetitlich aus vollen Krügen, Väterchen Rhein spießt grinsend den rostigen Dampfer Köln auf. Eine groteske Steigerung ist eben Wesen des Karnevals.

"Es sollte etwas Spezielles, etwas Besonderes für den Park gefunden werden", kommentiert Monika-Elisabeth Nordhaus vom Amt für Kommunikation und Internationale Angelegenheiten in Düsseldorf die Wahl der Skulptur. Schließlich sei ein Park, der den Namen der Stadt trägt, bisher weltweit etwas Einmaliges. Und dieser exklusiven Ehre habe man auch mit einem exklusiven Geschenk Rechnung tragen wollen. "Etwas Typisches aus Düsseldorf" habe es sein sollen, so Nordhaus weiter. Die Radschlägerfigur nimmt Bezug auf eine Legende, der zufolge 1288, als nach der Schlacht von Worringen Düsseldorf sein Stadtrecht erhielt, die Kinder vor Freude Räder in den Straßen geschlagen haben. Heute prägt eine ganze Reihe solcher Skulpturen das Düsseldorfer Stadtbild. Die Mosaiken darauf stammen von Jacques Tilly, der bei den alljährlichen Karnevalsumzügen mit bewusst anstößigen Wagendekorationen sein Unwesen treibt und diese zu einem "bundesweit beachteten Ereignis gemacht" haben soll, wie im Internet zu lesen ist. Und da die Karikaturen auch Teil eines Memory-Spiels der Tageszeitung "Rheinische Post" sind, scheint man in Düsseldorf aufrichtig von der Erinnerungswürdigkeit der Bilder überzeugt.

Dass die von der Komsomolskaja Prawda etwas ratlos als "ungewöhnlich" bezeichneten Bilder eventuell das sittliche Empfinden des Gastlandes verletzen könnten, hätten die Verantwortlichen nicht erwartet. "Die Skulptur war ja auch schon Monate vorher bei denen, da hätten die doch was sagen können", sagt Nordhaus. Und schließlich hätten sich bei der Eröffnungsfeier alle Anwesenden gefreut. Sogar Rad schlagende Kinder seien aufgetreten.

Und tatsächlich scheinen die meisten Anwohner mit dem Kunstobjekt auch nicht sonderlich zu fremdeln. Kinder tollen an der Figur herum, wandern mit dem Finger verschmitzt von einem Bild zum nächsten. "Das ist mein Lieblingsbild und das hier, ja - und das da auch", kann sich der elfjährige Artjom gar nicht entscheiden. Anstößig scheinen er und sein Freund Nikita jedenfalls nichts zu finden.

Auch Alexej Burow freut sich über das Düsseldorfer Gastgeschenk in der Plattenbausiedlung. "Schön bunt ist es", sagt der 32-jährige Passant. Er betrachtet die Skulptur zum ersten Mal genauer und teilt seine Beobachtungen lautstark mit: "Ach, Bierkrüge sind da drauf. Das schmeckt bei euch ja aber auch ganz gut."

Dass in einer echten Freundschaft auf ein Geschenk auch ein Gegengeschenk folgen sollte, versteht sich von selbst. Die MDZ hat sich deshalb Gedanken gemacht, womit sich Moskau für das subversive deutsche Kulturgut revanchieren und umgekehrt die Düsseldorfer irritieren könnte. Drei Vorschläge:

Die Denkmalsorgie "300 Jahre russische Flotte" kann in Moskau sowieso keiner leiden. Böse Zungen behaupten, der georgische Architekt Surab Zeretelli, ein Freund alles Ausladenden und Naturalistischen, habe mit der Statue eigentlich Kolumbus zum 500. Jahrestag der Entdeckung Amerikas verewigen wollen. Doch dann sei er sie in Amerika nicht losgeworden und habe Kolumbus zu Peter dem Großen umgearbeitet. Das Werk steht seit 1997 in der Moskwa und gilt als strittigstes Monument der Hauptstadt, wo man nie verstanden hat, was Moskau denn wohl mit der Flotte verbindet. Sogar Unterschriften für einen Abriss wurden gesammelt. Die "Deportation" nach Düsseldorf wäre ein eleganter Weg, sich des Monstrums zu entledigen. Und war nicht Peter der Große im Herzen Europäer?

Der in Metall gegossene Nullkilometer der Transsibirischen Eisenbahn würde auf dem Düsseldorfer Hauptbahnhof seine Wirkung nicht verfehlen. Schließlich heißt es ständig, unsere Welt wachse zusammen. Und wenn sich Europa weiter nach Osten ausdehnt, so kommt ihm Sibirien entgegen.

Die 40 Meter hohe Statue von Jurij Gagarin am Lenin-Prospekt taugt als Metapher für das Moskauer Selbstverständnis. Mit einer Kopie davon in Düsseldorf könnte auch das Kräfteverhältnis der Partnerstädte klargestellt werden.