Pressespiegel1989 bis 2003Kölner Stadtanzeiger, 8.11.2003

Der Kölner Zug ist immer so lieb und harmlos

Kölner Stadtanzeiger, 8/9.11.2003

Das Düsseldorfer Festkomitee will eher die scharfen Sachen

Können Kölner von Düsseldorfern etwas lernen? Mit dem Wagenbauer Jacques Tilly sprach Anja Katzmarzik.

Kölner Stadt-Anzeiger: Herr Tilly, mit Ihren Motiven haben Sie schon für manchen handfesten Skandal gesorgt. Welcher schlug die meisten Wellen?

Jacques Tilly: Den größten Skandal hatte mein Wagen zum Kruzifixurteil 1996 zur Folge. Da hatte ich Narren ans Kreuz geschlagen und statt INRI hieß es "Helau". Das gab eine Aufregung bis hin zur Bischofskonferenz, christliche Organisationen riefen Firmen dazu auf, dem Karneval den Geldhahn zuzudrehen.

Durfte der Wagen fahren?

Tilly: So nicht. Das Karnevalskomitee teilte mir mit, der Wagen mit der Nummer 54 sei ersatzlos gestrichen. Ich habe die Kreuze verhüllt und ein Schild gemalt, auf dem stand: Ersatzlos gestrichen. Da wusste das Publikum Bescheid.

Welche Lehren haben Sie aus der Zensur gezogen?

Tilly: Ich veröffentliche meine Entwürfe vorher nicht mehr.

Ist Ihnen nichts heilig?

Tilly: Ich finde, die Kirche ist ein Verein wie jeder andere auch und muss sich Spott und Kritik gefallen lassen.

Und das Düsseldorfer Festkomitee duldet Ihre Eskapaden?

Tilly: Was heißt hier dulden? Es fordert mich geradezu dazu auf. Die haben schon Entwürfe abgelehnt mit der Begründung, sie seien zu langweilig. Die sagen: In Düsseldorf wollen wir scharfe Sachen machen. Und wenn wir zurücktreten müssen, treten wir halt zurück.

Ist trotzdem mal ein Entwurf abgelehnt worden?

Tilly: Nach den Anschlägen von Rostock wollte ich einen Nazi bauen mit einem dicken Bauch, wo draufstand: Ich bin stolz, ein Arschloch zu sein. Das ging nicht... Das ist so ein Kopf-ab-Thema unter Satirikern und Karikaturisten ebenso wie männliche Genitalien. Ich habe viel Ärger mit Penissen gehabt.

Ein Geschlechtsmerkmal hat Ihnen ganz besonders viel Ärger eingebracht...

Tilly: Ja, ich habe einmal Helmut Kohl als Urwaldindianer gezeigt und das Baströckchen war halt etwas zu kurz, da guckte sein Schniedel raus. Das überschlug sich die Presse bald, ein CDU-Anwalt drohte mit einstweiliger Verfügung. Ich war mir keiner Schuld bewusst. Ich dachte, es sei beleidigender, ihn ohne zu zeigen...

Mussten Sie Ihren Entwurf ändern?

Tilly: Es wurde während des Zugs halt eine Pflanze vorgestellt, die ist dann aber umgekippt.

Gefallen Sie sich in der Rolle des "Enfant terrible"?

Tilly: Es gibt inzwischen eine richtige Erwartungshaltung. Ich brauche nur einen Schneemann zu bauen, schon gibt es einen Skandal.

Sie zeigen Saddam Hussein und Bush als schwules Liebespaar im Bett und Angela Merkel, die aus dem Allerwertesten des Uncle Sam mit amerikanischen Flaggen winkt.

Tilly: Karnevalswagen, die keine Konfrontation hervorrufen, haben Ihren Zweck verfehlt. Wo sonst sollten wir denn die Herrschenden kritisieren, wenn nicht im Karneval? Grausame Kriegsverbrecher wie Saddam Hussein herrschen, weil sie Angst verbreiten. Indem man über sie lacht, verlieren sie Ihre Macht. Man muss sie teeren, federn und durch die Stadt treiben.

Was halten Sie von der Kölner Wagenbaukunst?

Tilly: Ich habe mich einmal als Kunstprofessor ausgegeben und in die Kölner Halle eingeschlichen. Was ich da gesehen habe war tolle Kunst - aber halt sehr ausgewogen. Der Kölner Zug ist immer so lieb und harmlos. Da ein bisschen Eichel, da ein bisschen Clement und das war's. Das ist schade. Die Kölner ziehen sich selbst die Zähne.

Sie bauten schon Schröder als Domina und Merz mit Merkel nackt in der Badewanne. Was kommt nun?

Tilly: Es wird sicher ein Lafontaine-Wagen mitfahren. Der geistert ja in der Politik herum wie ein Untoter. Doch die letzten Ideen entstehen kurz vor Rosenmontag. Ich fahr keinen kalten Kaffee durch die Gegend.