Pressespiegel2008NRZ, 4.2.2008

Tilly lässt es wieder krachen

Neue Rhein Zeitung, 4.2.2008, von Jutta Bublies

NARRETEI. Der frechste Karnevalswagen-Bauer der Republik sorgt heute in Düsseldorf für Zoff im Zoch. Versprochen!

DÜSSELDORF. US-Präsident George Bush stellte er als Affen dar. Kanzler Helmut Kohl war als Menschenfresser im Bambus-Röckchen mit drei Schrumpfköpfen seiner politischen "Opfer" zu sehen und Bundeskanzler Gerhard Schröder als Domina, die Arbeitsminister Walter Riester den Hintern versohlt. Keine Frage: Jacques Tilly baut die frechsten Karnevalswagen der Republik. Auch heute wird der Düsseldorfer im Rosenmontagszug der Landeshauptstadt mit seinen provokanten Kunstwerken für Zoff im Zoch sorgen. Schließlich heißt das Düsseldorfer Sessionsmotto 2008: "Mer kann och alles Öwerdriewe." Zu Deutsch: "Man kann auch alles übertreiben."

Welche aktuellen politischen Themen der Wagenbauer in diesem Jahr karikiert, bleibt bis zum Anpfiff des jecken Lindwurms um 12.35 Uhr sein Geheimnis. "Meine zehn Mottowagen kennen nur drei Leute - der Geschäftsführer und der Präsident des Düsseldorfer Karnevalskomitees sowie der Zugleiter." Als sicher gilt: Die geplante Schließung des Bochumer Nokiawerkes und die Hessenwahl werden dabeisein.

Seit 24 Jahren versorgt der Bildhauer den Düsseldorfer Rosenmontagszug mit rotzfrechen Ideen und sorgt so dafür, dass dieser zu einem bundesweit beachteten Ereignis wird.


"Es gibt keine Gruppe, die sagen kann, uns darf man nicht verspotten."

Was dem 44-Jährigen Session für Session nicht nur Beifall aus dem jecken Volk und Fotos auf den Titelseiten der nationalen und internationalen Presse einbringt. Denn Tilly provoziert, wie manches seiner karnevalistischen "Opfer" meint, auch über die Schmerzgrenze hinaus. Vor drei Jahren erhielten die Organisatoren des Rosenmontagszuges Klage-Ankündigungen von Katholiken, die an einer Darstellung des Kölner Erzbischofs Joachim Kardinal Meisner Anstoß nahmen. 2005 war Meisner mit einem Scheiterhaufen zu sehen, auf dem eine Frau bekennt: Ich habe abgetrieben. Im vergangenen Jahr erhitzte Tilly die Gemüter mit zwei säbelschwingenden, bis an die Zähne bewaffneten Islamisten. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland war empört.

"Ich will keine Politik, sondern politische Satire machen", betont der Künstler. Und dabei müsse auch der Islam, genau wie die katholische Kirche, kritisiert werden dürfen. "Islamkritik ist nicht ausländerfeindlich. Im Karneval bekommen alle einen drauf. Es gibt keine gesellschaftliche Gruppe, die sagen kann, uns darf man nicht verspotten."

Dass der Mann es "ordentlich krachen lassen" kann, verdankt er dem Mut des Düsseldorfer Karnevalskomitees. "Die wollen halt scharfe Wagen haben." Ein Seitenhieb auf die Kölner Konkurrenz darf da nicht fehlen. "Dort entscheiden hunderte Leute über das, was Rosenmontag mitfährt. Jeder äußert Bedenken. So wird der Zug ein wenig harmloser." Vor zwei Jahren haben die Kölner versucht, den Wagenbauer-Star abzuwerben. Der hat abgewunken. "In Düsseldorf habe ich Narrenfreiheit und optimale Arbeitsbedingungen." Eine Premiere lässt Tilly den Kölnern heute jedoch angedeihen: In deren Zoch fährt erstmals einer seiner Wagen mit, umgekehrt ein Kölner Wagen in der Landeshauptstadt. Tilly hat sich einen aufgeblasenen Bewohner der Domstadt ausgedacht, auf dem "Größenwahn" geschrieben steht. Aus diesem lässt ein Düsseldorfer die Luft raus. Die Kölner sticheln zurück mit einer Kö-Blondine, die sich mit Botox-Spritzen in Form bringt.


"In Düsseldorf habe ich Narrenfreiheit und optimale Arbeitsbedingungen."

Tilly, der seine Werkstatt ganzjährig in den Wagenbauhallen in Düsseldorf-Bilk eingerichtet hat, ist angesagt. Über die Jahre hat er etliche Auftragswagen für Jecke in anderen deutschen Städten gebaut - so 2007 den Prinzenwagen der Aachener, 2006 den Prinzenwagen der Klever. Seine Kunstfertigkeiten gibt er in Workshops weiter. "Jede Stadt hat ihre Wagenbau-Tradition. Viele arbeiten viel zu schwer, zu teuer, zu aufwändig", erklärt der Vater sechs- und neunjähriger Söhne. Er setzt auf die Leichtbautechnik, fertigt seine Figuren aus verzinktem Maschendraht und Dachlatten. Auf die Konstruktion wird in Leim getunktes Papier aufgetragen. Farbig wird's mit Pinsel und Spritzpistole. Werkelt der Mann einmal nicht in Sachen Narretei, fertigt er mit Künstler-Kollegen künstliche Felswände für Kinoproduktionen, Skulpturen und Plastiken für Messen, Firmen oder Freizeitparks.

Rosenmontagszug-Besucher in Düsseldorf haben heute gute Chancen, dem 44-Jährigen - mit der Kamera bewaffnet - zu begegnen. Denn bevor seine Karnevals-Kunst am Veilchendienstag geschreddert wird, hält Deutschlands frechster Wagenbauer sie noch schnell für die Nachwelt und die Eigenwerbung im Foto fest. (NRZ)


5500 KARNEVALISTEN

Eine Million Jecken werden heute zum Rosenmontagszug in Düsseldorf erwartet. Der Zoch startet um 12.35 Uhr am Joseph-Beuys-Ufer direkt am Rhein. 5500 Karnevalisten nehmen am närrischen Umzug teil, 68 Motiv- und Mottowagen rollen durch die Straßen. 41 Kapellen werden die 78 Fußgruppen und das Prinzenpaar - Prinz Josef und Venetia Barbara - begleiten. Der kunterbunte Lindwurm ist 6,5 Kilometer lang. Über 40 Tonnen süßes Wurfmaterial sollen unter das närrische Volk gebracht werden. (rüff/ NRZ)

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Von Tilly schon häufiger aufs Korn genommen: der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner im Rosenmontagszug 2005. (Fotos: Jacques Tilly)

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Von einer "Provokation um der Provokation willen" sprach der Zentralrat der Muslime bei diesem Tilly-Wagen im Rosenmontagszug 2007.