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Der verhinderte Karnevalist

Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 27.2.2006, von Hayke Lanwert

Jacques Tilly ist der kreative Kopf des Düsseldorfer Rosenmontagszuges und würde sich nur all zu gerne mit dem Thema Islam beschäftigen, aber auch er wird sich zurückhalten

Düsseldorf. Wenn einer mit Fug und Recht von sich behaupten kann, er sei ein verhinderter Karnevalist, dann ist er es. Jacques Tilly ist der kreative Kopf des Düsseldorfer Karnevals, und weil er viele Monate im Jahr nur an eines denkt, nämlich den Narren eine Kappe zu basteln, kommt er selbst nie dazu, sich eine aufzusetzen.

Das ist wieder einmal einer dieser Tage davor. Der Sonntag vor Rosenmontag eben. Während halb Düsseldorf durch die schneebeschauerten Straßen zieht, um den Arzt, den Indianer oder die Verführerin zu mimen, kurz ganz Düsseldorf ein einziger Karneval ist, geben sich die Wagenbauer in einem ehemaligen Busdepot den Rest. Morgen ist Rosenmontag, und deshalb ist nun Schluss mit lustig. Da wird gepinselt, geklebt, da werden Kamelle gehievt. Endspurt. Sie machen durch bis morgen Früh, nein, und singen kein Bumsfallera. Denn so gesehen ist Karneval verdammt ernst, und wie immer werden sie die ganze Nacht durchwerkeln.

Mittendrin, im roten Overall, eben Jacques Tilly. 42 Jahre, studierte einst Kommunikations-Design in Essen, half nebenbei beim Wagenbau für den Düsseldorfer Zug und ist inzwischen dessen Chef-Designer. Letztes Jahr ließ er den Kölner Kardinal Meisner einen Scheiterhaufen mit Frau darauf anzünden, weil Meisner kurz zuvor die Abtreibung in einer Reihe der schlimmsten Völkermorde der Menschengeschichte gestellt hatte. Tilly sieht sich als Karikaturist, als hochpolitischen Menschen, und vertritt den Standpunkt: "Wer austeilen kann, muss auch einstecken".

So auch US-Präsident Bush, dem er beim letzten Zug ein Kruzifix in Form eines Maschinengewehres in die Hände drückte. Tilly legt es nicht auf Skandale an, will aber auch nicht langweilen. "Wie die Kölner. Die verfahren immer nach dem Motto "Bloß keinem weh tun", sagt Tilly.

Acht politische Wagen hat er dieses Mal vorbereitet, welche, wird bis Rosenmontag geheim gehalten. Denn Tilly hat schlechte Erfahrungen gemacht. Zuletzt, als er Düsseldorfs ehemalige Oberbürgermeisterin Marlies Smeets vor deren Stichwahl mit einem so gekennzeichneten Messer im Bauch darstellt. "Die SPD hat sich dermaßen aufgeregt, dass wir den Wagen schließlich zurückgenommen haben. Danach haben wir nie wieder unsere Entwürfe öffentlich gemacht", erklärt Jacques Tilly.

Geheim bleibt geheim. Nur eines ist sicher und bekannt: Es wird auf diesem Rosenmontagszug in Düsseldorf keinen Mohammed, keinen Wagen zum Islam geben. Obwohl es Jacques Tilly durchaus reizen würde, obwohl er etwas zu sagen hätte, ja sogar eine Idee. Und eigentlich, so meint er, wäre der Islam nun auch dran: "Schließlich haben wir schon so oft auf das Christentum eingeschlagen".

Kein Mohammed also, denn der Karikaturen-Streit habe den Rahmen neu gesetzt. Auch wenn man das auf Dauer nicht akzeptieren könne, müsse man verantwortungsvoll damit umgehen, sagt Tilly. Doch er ist zu sehr Narr, als dass es ihn nicht reizen würde, dessen unbegrenzte Freiheit zu probieren. Jede Religion schreie geradezu nach satirischer Verarbeitung, meint er, wohl abwägend, dass der Islam anders als die katholische Kirche sich nicht mit einer gerichtlichen Klage begnügen würde.

Doch das Gros der 73 Wagen ist ohnehin nicht Politik, sondern ein Fest von Farbe. Viel Maschendraht, Dachlatten und ein Hauch von Papier, der mit allen erdenklichen Acrylfarben protzt. Da sind Leoparden auf dem Sprung, da hechtet Papst Benedikt einem Fußball nach, da ziehen prächtige violette Elefanten den Prinzenwagen. Kompliment an Jacques Tilly und sein Team, an die vielen Bastler aus den Düsseldorfer Vereinen, die ihre Abende und Wochenenden in diesem Busdepot in Düsseldorf-Bilk verbrachten!

Es ist Sonntagnachmittag, bis Rosenmontag ist noch etwas Zeit. Genug zumindest, um über Nacht noch einen Wagen zu erfinden. Was wäre, wenn? Wenn ... Müntefering der Merkel am Sonntagabend plötzlich eine knallen würde. Ja, dann griffe Jacques Tilly noch ganz schnell zum Stift und sein Team zu Maschendraht, Papier und Farbe. Morgen - Verzeihung - heute um sechs, wird Tilly geschafft ins Bett fallen. Ein wahrer Karnevalist eben, wenn auch ein verhinderter.

Kasten "Nit quake - make"
Den größten Karnevalsumzug aller Zeiten kündigt die Landeshauptstadt an. Los geht's um 13.44 Uhr mit 70 Motivwagen, 40 Kapellen und 260 Pferden. Der Umzug geht von der Hofgartenrampe durch die Altstadt bis zur Friedrichstraße. Internet: www.comitee-duesseldorfer-carneval.de

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Jacques Tilly und Lebensgefährtin Ricarda Hinz: Wenn sie sich nicht auch ins karnevalistische Getümmel stürzen würde, bekäme sie ihn, den Wagenbauer des Düsseldorfer Zuges, wohl kaum zu sehen.
Fotos: WAZ, Armin Thiemer