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Düsseldorfer Wagenbaustar bringt Kardinal auf die Palme

Tusch, März 2005

Jacques Tilly: Es ist doch nur Karneval

Düsseldorf (gsi). Seinem Ruf als Unruhestifter machte der Düsseldorfer Jacques Tilly beim diesjährigen Rosenmontagszug mit seinem "Meisner"-Wagen wieder alle Ehre. Deutschlands umstrittenster Wagenbauer wagte es, die jüngsten Äußerungen des Kölner Kardinals zur Abtreibungsfrage karnevalistisch aufzuspießen. So war auf einem der Düsseldorfer Karnevalswagen eine Frau auf dem Scheiterhaufen dargestellt mit dem Geständnis: "Ich habe abgetrieben". Davor stand Joachim Kardinal Meisner mit Fackel, der dabei ist, den Scheiterhaufen zu entzünden. Der Wagen nimmt Bezug auf Kardinal Meisners Anfang des Jahres gehaltene Dreikönigspredigt im Kölner Dom, in der er sagte: "Zuerst Herodes, der die Kinder von Bethlehem umbringen lässt, dann unter anderem Hitler und Stalin, die Millionen Leute vernichten ließen, und heute (...) werden ungeborene Kinder millionenfach umgebracht." Dem Kardinal schlug sofort eine Welle der Kritik entgegen, geäußert von verschiedenen Frauenverbänden, der NRW-FDP und vom Zentralrat der Deutschen Juden. Auch der Düsseldorfer Karneval leistete den Meisner-Kritikern Schützenhilfe - mit den närrischen Waffen des Spotts und der satirischen Übertreibung. "Tusch - Die Karnevalszeitung" sprach mit dem diplomierten Kommunikationsdesigner Jacques Tilly.

Herr Tilly, gehören solche Dinge wie Kirche und die Abtreibungsproblematik wirklich in den Karneval?

Warum sollte es ausgerechnet im Karneval enge Tabugrenzen geben? Alles, was Menschen bewegt und zum Tagesgeschehen einer Gesellschaft gehört, muss im Karneval aufgegriffen werden dürfen. Dafür wurde die Narrenfreiheit doch erfunden.

Aber fühlen sich die Katholiken nicht zu Recht beleidigt?

Wieso das denn? Ich habe doch nicht den Katholizismus oder die christliche Religion angegriffen. Wenn sich einer beleidigt fühlen darf, dann einzig und allein der Herr Joachim Kardinal Meisner. Gerade er teilt doch immer gerne aus, da kann er ruhig auch mal was einstecken.

Aber musste es gleich so drastisch sein? Schließlich wird dort eine Frau verbrannt.

Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil. Der Kardinal provoziert doch selbst seit Jahren mit seinen Äußerungen. Präsident Bush wird von ihm als positives Beispiel eines gläubigen Politiker angeführt, die Abtreibungspille vergleicht er mit Zyklon B und Homosexualität nennt er einen "Todeskeim", den "der europäische Mensch" "ausschwitzen" müsse. Da darf er sich doch nicht wundern, wenn ihm mal der Spiegel vorgehalten wird. Dafür ist der Karneval doch da.

Und Sie mussten dann gleich den Kardinal als Henker und Inquisitor darstellen.

Die Kirche hat nun mal nicht nur eine Heilsgeschichte, sie hat auch ziemlich finstere Kriminalgeschichte. Daran wird man noch erinnern dürfen, wenn sich heute einige ihrer Vertreter so selbstgerecht als allererste Moralinstanz aufspielen und Frauen, die abgetrieben haben, in dieser Weise angreifen.

Haben Sie für den Wagen "Prügel" einstecken müssen?

Der Düsseldorfer Lokalteil der Rheinischen Post war tagelang randvoll mit Leserbriefen von empörten Christen. "Geschmacklos", "Skandalös", und "Schande" waren noch die harmloseren Vokabeln. Und natürlich habe ich die üblichen bösen Briefe und unangenehme Anrufe erhalten. Auch mehrere Klagen sind angekündigt. Aber das Comitee Düsseldorfer Carneval steht in dieser Sache glücklicherweise hinter mir. Und viele, viele Närrinnen und Narren.

Sie sind schon mehrfach mit kirchenfeindlichen Wagen aufgefallen. Sind Sie da nicht selbst ein wenig fundamentalistisch?

Mein letzter kirchenkritischer Wagen ist doch neun Jahre her. Im Karneval kriegt jeder einen drüber, der es meiner Meinung nach verdient. Da wird keiner ausgenommen. Und die Kirche ist für mich nun mal ein Verein wie jeder andere auch. Nächstes Jahr sind wieder andere dran. Da bin ich ganz unvoreingenommen.

Ihre kirchenkritische Haltung in allen Ehren, aber vergessen Sie nicht, dass der Karneval im Christentum gründet? Schließlich leitet er die Fastenzeit ein.

Die Wurzeln des Karnevals sind doch viel älter als das Christentum. In Griechenland gab es die dionysischen Feste, in Rom die Saturnalien und im Norden wurde der Winter schon weit in vorchristlicher Zeit mit viel Getöse ausgetrieben. Die Kirche hat einen vorhandenen Brauch - wie so viele - nur christianisiert, d.h. in ihre Bahnen gelenkt. Und Karnevalsumzüge wurden von der Kirche und von der mit ihr liierten Obrigkeit oft genug verboten. Man fürchtete das anarchische Element des Karnevals. Dennoch ist der Karneval natürlich für alle da, für Christen wie Nichtchristen. Jeder ist herzlich eingeladen, Karneval zu feiern wie es ihm Spaß macht. Gepfefferte Botschaften wie beim Meisner-Wagen gehören meiner Meinung nach einfach dazu - aber niemand sollte sich dadurch ausgeschlossen oder angegriffen fühlen. Es ist doch nur Karneval.

Hätte ihr Meisner-Wagen auch eine Chance in Köln oder Mainz gehabt?

Ganz gewiss nicht. Ich verstehe nicht, warum die Wagen dort oft so lieb, so harmlos und langweilig sind. Die sollten sich doch mal was trauen. Immerhin fuhr in Mainz dieses Jahr ein großer George W. Bush, dem die Frau Merkel in den Hintern kriecht. Schade war nur, dass die Wagenidee abgekupfert war. Und zwar von mir. Der Wagen fuhr schon einmal in Düsseldorf im Jahr 2003. Davon kann sich jeder auf meiner Homepage "www.karnevalswagen.de" selbst überzeugen. Aber solche scharfen Wagen müssen sein - in Düsseldorf, in Mainz und Köln. Ich würde mich sehr freuen, wenn es in den nächsten Jahren in den Hochburgen und der Provinz mehr davon gäbe. Sie geben dem Karneval ihren Sinn zurück.